berliner szenen: Auf der anderen Seite
Am Sonntagabend grillen wir mit den Nachbarn im Garten. Das tun wir im Sommer häufig. Man sitzt zusammen, jeder bringt was mit, die Kinder toben sich aus. Am Ende sind alle satt und die wichtigsten hausinternen Neuigkeiten wurden ausgetauscht. Diesmal haben wir Gäste. Eltern eines Jungen, der mit dem Nachbarkind auf eine private Grundschule geht. Ich habe Vorbehalte gegen Privatschulen, aber versuche trotzdem, den Menschen dort vorurteilsfrei zu begegnen. Meine Nachbarn sind ja auch nett.
Wir reden darüber, was sich ändert, wenn Kinder 14 werden. Dann brauchen sie einen Personalausweis, haben Konfirmation oder Jugendweihe. Initiationsriten. „Ich finde, jeder Pankower sollte bis zu seinem 14. Lebensjahr einmal auf der anderen Seite der S-Bahn gewesen sein“, sagt der Privatschulvater.
Die „andere Seite der S-Bahn“ ist bei uns der Wedding. Vielleicht nirgendwo in Berlin prallen die Gegensätze zwischen zwei Bezirken so krass aufeinander wie hier. Es ist, als gäbe es eine unsichtbare Grenze, wo früher die Mauer war. Dort die türkisch-arabische Community im Soldiner Kiez, hier das weiße bürgerliche Pankow. „Wir sind da dauernd“, sage ich. Der Privatschulvater starrt mich an. „Was macht ihr da?“ Na ja, ganz normale Sachen: Das Kind war da früher beim Kinderturnen, wir nutzen die super sortierte Bibliothek am Luisenbad. Einkaufen, Sport, Klavierstunde.
Abends fragt das Kind nach. „Was hat der damit gemeint, dass man auf der anderen Seite gewesen sein soll?“ Ich antworte: „Dass du mal in den Wedding rübersollst.“ Das Kind ist fassungslos. „Hä, wie? Spinnt der? Ich dachte, man soll nachts über die Gleise klettern, so als Mutprobe.“ Ich glaube, als so eine Art Mutprobe hat sich der Vater dasauch vorgestellt.
Gaby Coldewey
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