berliner szenen: Die Chinesen übernehm’ ja jetz’ Afrika
Der Eckensteher Nante war eines dieser Berliner Originale (oder vielleicht besser „Orjinale“), die heute lange ausgestorben zu sein scheinen. Anfang des 19. Jahrhunderts lungerte Nante an der Ecke Königstraße/Neue Friedrichstraße herum und wartete auf Gelegenheitsarbeiten. Befeuert durch Fusel aus der nahe gelegenen Destillation Eulner quatschte er Passanten zu. Seine Kommentare wurden in Couplets und Possen von Glasbrenner und Hopf verewigt.
Auch wenn in Berlin immer noch viel Quatsch erzählt wird, ist diese Art des anlasslosen Herumlaberns mit Fremden doch dank Kopfhörern und allgemeiner Muffeligkeit weitgehend ausgestorben. Wer es mit dem Gefasel ohne Sinn und Verstand ernst meint, wird halt Comedian.
Daher freut es einen umso mehr, wenn man doch noch einmal Zeuge wird, wie quatschiges Geschwafel im Alltag zelebriert wird. So wie von den beiden jungen Männern in schlabbrigen Jogginghosen und Hoodies, die da am Mittag bei Netto lautstark aufeinander einreden und dabei auch andere Kunden einbeziehen. Als ich in Hörweite komme, wird gerade die amerikanische Gesellschaft am Beispiel von Trickfilmserien seziert. „Die Simpsons und South Park zeijen die USA wie se sind. In Deutschland halten das alle für witzich. Aber die Amis sin wirklich so“, verkündet der eine und zwinkert mir dabei wissend zu. „Und weil se so schlau sind, verdienen se eb’n ihr Jeld damit,’ne andre Industrie ham die ja auch jar nich mehr.“
An der Kasse ist man bei der globalen Bestandsaufnahme in Asien angekommen: „Die Chinesen übernehm’ ja jetz’ Afrika“, erfährt die Kassiererin, die die Salzstangen unserer beiden Helden über den Scanner zieht. „Demnächst jeht in Afrika ’n Loch in’er Erde auf, und det is dann ’n Tunnel direkt nach China.“ So hatte die Kassiererin das noch gar nicht gesehen und gibt Wechselgeld. Tilman Baumgärtel
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