berliner szenen: Den Deutschen ihr Döner
Es muss einen Grund geben, warum die französischen Wörter „Charme“ und „Esprit“ im Deutschen Leihwörter sind. Letztlich sie sind nicht übersetzbar, weil es kein adäquates deutsches Gegenstück dazu gibt – weder als Wort noch als Lebensprinzip. Ich gebe das nach einer guten Woche in Frankreich einfach mal diskussionslos zu.
Eine Woche „Bonjour Monsieur, Madame, Mademoiselle“, „à bientôt “ und „très désolé“ bei jeder Gelegenheit – viel mehr Französisch verstehe ich eh nicht – klingen nach der Rückkehr nach Berlin-Schönefeld in der Erinnerung auf einmal unheimlich zivilisiert.
In dieser einen Woche habe ich lediglich zwei Menschen gesehen, die Jogginghosen trugen. Superschick war zwar niemand – ich war halt in der Provinz. Aber selbst da gibt man sich irgendwie Mühe, im Alltag einigermaßen respektabel auszusehen. Dort wuchsen niemandem Tätowierungen aus dem Ausschnitt, Piercings aus den Ohrläppchen, Wampen aus dem Hosenbund.
Der einzige Typ mit Vollbart war der Dorfbulle, der leutselig die Eintrittskarten bei dem Filmfestival kontrollierte, zu dem ich eingeladen war. In den Bistros, die laut einem Bericht der New York Times angeblich im Aussterben begriffen sind, „nimmt“ die Stadtbevölkerung nach wie vor einen Aperitif avec amis. Statt Aldi und Lidl auf der grünen Wiese gibt es in der Innenstadt des kleinen Städtchens Boulangerie, Fromagerie und Traiteur und zweimal in der Woche Bauernmarkt.
Die ausladenden Festessen mit Vorspeise, Hauptgang und Dessert, die uns Tag für Tag gereicht wurden, machen Franzosen offenbar auch nicht so fett wie die Deutschen ihr Döner und ihr Schnitzeltag. So effizient unsere Art des Lebens und Wirtschaftens auch sein mag, so unglücklich und adipös hat sie uns auch gemacht.
Tilman Baumgärtel
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