berliner szenen: Als wäre die Stummtaste gedrückt
Die Blume, die ich aus einem Blumenstrauß für eine Freundin geklaut habe, lasse ich auf einem Tisch im Eingangsbereich der Amerika-Gedenkbibliothek liegen. Sie war die ganze Zeit in meinem Rucksack, und als ich sie absichtlich vergesse, sieht sie nicht mehr ganz frisch aus.
Ich habe mich nicht getraut, sie der Freundin zu geben, weil die sich nicht darüber freute, dass ich sie unangekündigt bei ihrer neuen Arbeit abholte. So was finde sie stressig, sagte sie, und dann redeten wir nicht mehr darüber. Stattdessen entdeckten wir in einem Fenster eine vierhändige Klavierprobe und sahen uns das eine Weile an. Hören konnte man nichts, so als hätte jemand die Stummtaste gedrückt.
Ich staunte darüber, dass eine elegant gekleidete Frau anscheinend nur zu dem Zweck neben dem Piano stand, um die Seiten umzublättern. „Das ist ihr Job?“, fragte ich. „Sie muss Noten lesen können und darf den richtigen Augenblick nicht verpassen“, erklärte meine Freundin, das sei nicht so einfach. „Cool“, sagte ich.
Dann gingen wir zur Leipziger Straße und tranken ein Feierabendbier in einer kleinen, mit 60er-Jahren-Motiven dekorierten Kneipe, in der vier ältere Männer Karten spielten. Außerhalb der schicken Gegend, in der sie arbeitet, entspannte sich meine Freundin endlich. „Eine ganz andere Welt hier“, sagte sie.
Als wir durch die Französische Straße zur U6 liefen, roch ich wieder die Blume in meinem Rucksack. Wird schon nicht auffallen, dachte ich, man riecht so viele penetrante Parfüms, wenn man in dieser Gegend unterwegs ist und zum Beispiel an den Galeries Lafayette vorbeigeht.
Als ich später die AGB verlassen will, macht mich eine Frau darauf aufmerksam, dass ich etwas vergessen habe. „Die schenke ich Ihnen“, sage ich und gehe fort, ohne ihre Reaktion abzuwarten. Luciana Ferrando
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