piwik no script img

berliner szenenUnter laut grölenden Frauen

Fährt die zur S-Bahn?“ Eine Stimme ruft in die Straßenbahn rein. Ich will grad „Ja“ zurückrufen, als die vier Frauen hinter mir das schon tun, und das ziemlich laut. Normalerweise finde ich laute Leute nachts in der Bahn nicht so anziehend, aber ich habe mich doch direkt vor die hier gesetzt; sie sind faszinierend. Wie nervige Typen benehmen sie sich, belegen gleich mal acht Sitze für sich, reichen Alkohol hin und her, grölen auch ein bisschen dabei. So ganz weiß ich noch nicht, was ich davon halten soll: Mag ich, dass sie so viel Raum einnehmen wie sonst oft nur Männer? Aber dann auf diese Art? Nur dann denke ich erst nicht mehr darüber nach, denn die „S‑Bahn?“-Fragerin steigt ein, die Tür geht zu, die Bahn fährt ab und sie ruft, auch ziemlich laut: „Mein Mann!“

Ich schaue. Da kommt er, der Mann, eher geschlurft als gerannt, aber er kommt. Ich finde, das ist nicht zu übersehen, selbst wenn man Straßenbahnfahrer ganz am anderen Ende des Wagens ist.

„Halt an!“, will ich ihm zurufen. Aber schon wieder sind die vier hinter mir schneller.

„Ey, stopp!“, grölen sie. „Da kommt doch noch einer!“

Es nützt nichts. Die Bahn fährt und fährt.

„Mein Mann!“ Ganz verzweifelt klingt das jetzt. „Der hat doch Demenz.“

Scheiße, denke ich.

„Scheiße!“, ruft eine der vier lauten Frauen. „Fahrer! Halt an!“ „Oder Fahrerin“, sagt eine zweite. „Stimmt. Könnte auch ’ne Fahrerin sein.“

Könnte nicht, denke ich. Da bin ich jetzt bockig, denn wenn so ’n Fahrer was Tolles macht, hab ich das noch nie gehört: „Könnte ja auch ’ne Fahrerin sein.“ Sondern immer nur, wenn’s danebengeht. Oder bilde ich mir das nur ein?

Und so sitz ich und grübele, bis zur nächsten Station. Da steigen die vier aus, die „S-Bahn?“-Fragerin auch, sie suchen den Mann, und ich suche noch immer ’ne Antwort: Mag ich laut grölende Frauen? Joey Juschka

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen