berliner szenen: Fordert den Kopf ganz anders
Um nichts gibt es mit älteren Kindern so viel Ärger wie ums Handy. Ich hatte mich lange dagegen gesperrt, doch zu Beginn der 6. Klasse bin ich eingeknickt. Seitdem werden Regeln erstellt und gebrochen, werden Hausaufgaben vernachlässigt, wird getrickst und gebettelt. „Nur noch 5 Minuten, bitte!“
Meistens kriegen wir die Kurve. Manchmal nicht. Dann wird es laut (ich) und ungemütlich (für das Kind). Ich fühle mich hilflos, das Kind hasst mich. Es ist ein Kreuz. Am Montag war es wieder so weit. Die berufstätige Mutter hatte schriftlich angeordnet, wie der Nachmittag zu verbringen sei: gerne eine Stunde Handy spielen, aber bitte auch die Hausaufgaben machen, den Geschichtshefter aufhübschen und die Pfandflaschen wegbringen. Als ich um sechs nach Hause kam, stolperte ich gleich im Flur über die nicht weggeräumte Sporttasche, die Winterjacke und die Schulmappe. Dem Chaos in der Küche sah man an, dass es Aufbackbrötchen mit Honig gegeben hatte. In der Ecke die Pfandflaschen. Eine Krümelklebspur führte ins Kinderzimmer, wo das Kind mit Mütze und Schal im Bett lag und – Handy spielte.
Ich erspare Ihnen unschöne Einzelheiten. Es wurde sehr laut und sehr ungemütlich. Am Ende wurde das Handy eingezogen. Für eine Woche. „Mama, das ist nicht fair!“, schrie das Kind panisch. „Was fair ist, entscheide ich“, sagte ich ruhig und unpädagogisch und nahm das Gerät am Dienstag mit zur Arbeit.
Als ich abends zurückkam, saß das Kind am Schreibtisch und ordnete seinen Geschichtshefter. Auf dem Tisch lagen drei große, fertiggestellte Puzzle. „Mir war so langweilig, da hab ich die gemacht“, seufzte das Kind. „Und weißt du, was komisch ist? Das fordert den Kopf ganz anders.“ Der Ärmste! Ich bin gespannt, wie er den Rest der Woche rumkriegt.
Gaby Coldewey
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