berliner szenen: Kindheit vor dem Handy? Sinnlos!
Das Kind ist gerade 12 geworden. Er ist im letzten Jahr irre gewachsen, fast so groß wie ich und heftig pubertierend. Wenn wir längere Zeit zusammen sind, strengt mich das oft an. Aber wenn er den ganzen Nachmittag in der Sporthalle verbringt, freue ich mich doch, wenn er nach Hause kommt.
Ich knuddele ihn ein bisschen und sage: „Kann ich ja machen, solange du noch kleiner bist als ich.“ „Tja“, sagt das Kind, „du bist klein. Und alt. Wie ist das eigentlich, wenn man alt ist?“ Ich fühle mich wie hundert und schlurfe in die Küche, um das Abendessen zu machen. Es gibt Kartoffelbrei und Fischstäbchen. Das gibt es gefühlt jeden zweiten Tag, weil das Kind alle anderen Gerichte ablehnt. Außer Nudeln. Ich lästere ein bisschen: „Mein Kindergartenkind isst nur Nudeln und Fischstäbchen.“
Das Kind unterhält mich derweil mit Teekesselchen. Ich scheitere an „ISS“ (Internationale Raumstation/Integrierte Sekundarschule), er an „Mars“ (Schokoriegel/Planet) und „Schimmel“ (auf dem Essen/im Stall). Das Kind ist erbost. „Das war voll schwer! Warum weißt du so schwere Sachen?“ Ich könnte das jetzt aufs Alter zurückführen, sage aber nur pädagogisch: „Ach weißt du, früher gab’s ja noch keine Handys. Da haben Kinder mit ihren Eltern einfach viel mehr Sachen wie Teekesselchen gespielt.“ Das Kind sieht mich nachdenklich an: „Wie habt ihr da eigentlich gelebt, Mama? War das nicht ein total sinnloses Leben?“ Während ich über meine sinnentleerte, weil handyfreie Kindheit nachdenke, stelle ich das Essen auf den Tisch. Das Kind stochert in seinen Fischstäbchen. „Ist was mit dem Essen?“, frage ich vorsichtig. „Ich glaub, mir schmecken Fischstäbchen nicht mehr.“ Er ist jetzt ernsthaft geknickt. „Ich fand die doch sonst immer so lecker. Altwerden ist scheiße.“ Hätten wir das jetzt also auch geklärt.
Gaby Coldewey
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