berliner szenen: Bermudadreieck für den ganzen Schrott
Die Straße des 17. Juni ist die seltsamste Straße, die ich kenne. Das mag erst einmal nicht nachvollziehbar sein. Die ellenlange Strecke offenbart ihre Seltsamkeit aber auch erst nach eingehender und andauernder Beobachtung.
Da ich an ihrem einen Ende wohne, fahre ich fast täglich mit meinem Fahrrad quer durch den Tiergarten zu meiner Uni an das andere Ende. Mittlerweile radle ich seit fast zwei Jahren im Sommer und im Winter, bei Regen, Schnee und Sonnenschein auf dem breiten Fahrradweg zwischen Parkstreifen und Bürgersteig entlang.
Weil die Straße des 17. Juni schnurgerade ist, kann man hier beim Radfahren herrlich abschalten und sich umschauen. Denn die Straße hat neben ihrer Funktion als Straße eine zweite Bestimmung, die weit weniger bekannt ist: sie dient als eine Art Abstellplatz für alles, was kaputt ist und wegkann. In den letzten zwei Jahren bin ich an so viel ausgedientem Ramsch vorbeigeradelt, dass ich mich wundere, weshalb hier noch keine offizielle Müllkippe eröffnet wurde.
Ungezählte Autos mit eingeschlagenen Scheiben, Autos mit Totalschaden, Motorräder ohne Räder und Vespas ohne Lenker bilden die Kategorie Metallschrott. Außerdem gibt es eine facettenreiche Vielfalt an Kartons mit variierendem Inhalt: Kartons voll altem Obst, Kartons voll Elektroschrott, Kartons voll Zeitung, Kartons voll Kartons. Angekokelte Reifen und Felgen, Jacken und Hosen, Sessel und Sofas komplettieren das Angebot am Rand des Fahrradwegs.
Die Straße ist eine Art Bermudadreieck. Ist dein Auto kaputt und du willst dich nicht weiter drum kümmern? Stell es auf der Straße des 17. Juni ab! Das gilt auch für ausrangierte Imbisswagen, Werbeständer, Anhänger und Euro-Paletten.
Auf mysteriöse Weise verschwinden die Sachen dann nach einer Weile, dafür tauchen neue Absurditäten auf. Mein Weg zur Uni macht immer Spaß. Marlene Militz
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