berliner szenen: Vor der Polizei kommt vor
Ich fahre mit dem Fahrrad zum Kindergarten meiner Tochter. Da ich sie mit dem Kinderwagen hingebracht habe, schließe ich das Rad vor der Kita ab und fahre mit ihr im Bus nach Hause. Am nächsten Morgen will ich mit dem Rad zurück fahren. Ich durchwühle meine Tasche und mein Portemonnaie nach dem Fahradschlüssel, suche den Boden ab und frage in der Kita. Er findet sich nicht. Als ich Stunden später mit einer Säge wiederkomme, um das Schloss aufzusägen, fehlt der Sattel. Ich öffne das Schloss und radle stehend in die erstbeste Fahrradwerkstatt, um einen Sattel und ein Schloss zu kaufen.
Abends fahre ich mit dem Rad zu einer Freundin, schließe es vor einem Polizeipräsidium ab und denke: „Hier klaut keiner den Sattel.“ Als ich zurückkomme, passt der Schlüssel des neuen Schlosses nicht mehr. Ich bitte die Polizisten, die den Eingang bewachen, um heißes Wasser. Es hilft nicht. Einer von ihnen leuchtet mit der Taschenlampe in das Schloss. „Gewaltsam verbogen“, meint er. „Vor der Polizei?“, frage ich konsterniert. „Kommt vor“, sagt er. „Einfach morgen mit Säge und Kaufbeleg wiederkommen.“ Ich atme tief durch. „Ich habe es über Ebay-Kleinanzeigen gekauft und keinen Beleg.“ Er erklärt: „Ohne Eigentumsnachweis können Sie es nicht aufsägen. Könnte ja jeder kommen.“
Ich denke: Bei dem Preis könnte das Rad tatsächlich geklaut gewesen sein. Ich erzähle einer Freundin von dem Dilemma. Am nächsten Tag schickt sie einen befreundeten Anwalt vorbei. Der sägt mein Rad unter Beobachtung des Wache schiebenden Polizisten auf und erklärt dabei mit wedelnder Visitenkarte: „Einen Kaufnachweis gibt’s nicht, aber das Rad ist rechtmäßiges Eigentum meiner Mandantin. Wir nehmen es mit.“ Der Polizist mustert ihn von oben bis unten, sagt dann: „Na, gut! Machen Sie auch Arbeitsrecht?“
Eva-Lena Lörzer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen