piwik no script img

berliner szenenOstberlins steilste Rodelbahn

Es ist ein kalter Adventssonntag am Ausflugslokal Rübezahl am Müggelsee. Weil mein Schach-Punktspiel, das in der Nähe stattfand, recht bald mit Remis endete, habe ich Zeit für einen Spaziergang. Als ich am Teufelssee am Fuße der Müggelberge entlanglaufe, kommen die Erinnerungen.

Vor 30 Jahren war der kleine Waldsee für mich ein Sehnsuchtsort in den Winterferien. Über eine Stunde Anfahrt mit S-Bahn und Bus nahm ich in Kauf, um mit meinem Schlitten dorthinzukommen. Warum? Weil es dort die längste und steilste Rodelbahn von ganz Ost­berlin gab. Die schönste Stelle: hinter einer Rechtskurve unter einer Holzbrücke hindurchzusausen, auf der die bergan marschierenden Kinder johlten.

Der Lauf der alten Rodelbahn ist noch zu erkennen, aber heute stürzen sich Mountain-Biker den Hang hinunter. An diesem Adventstag ist wenig los, nur zwei Jugendliche sitzen auf halber Höhe und glotzen aufs Handy. Das erinnert mich an meinen Sohn: Zu Weihnachten wünscht er sich eine Computerspielestation inklusive eines Spiels, bei dem man eine virtuelle „Rainbow Road“ herabsausen kann. Wie schön dagegen diese echte Abfahrt in Köpenick!

„Was sind das nur für Marketing-Arschlöcher, die solch perverse Wünsche in die Herzen unserer Kinder pflanzen?“, hatte ich mich eines Abends bei meiner Frau beschwert. Sie mag solche Sprüche nicht und hatte, ganz Pädagogin, geantwortet: „Wir müssen einen Umgang damit finden.“ Da hat sie wohl recht, denke ich, als ich zurück zum Parkplatz laufe.

Auf der Heimfahrt im Auto höre ich, wie Romano über seine Köpenicker Wendezeit-Kindheit singt: „Unser wilder Westen befand sich direkt an der Spree, und es liegt immer noch ein Schatz im Müggelsee.“ Über meine kalten Wangen kullern ein paar Tränen.

Richard Rother

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen