berliner szenen: Nur keine Fragen stellen
Hast du fünfzig Cent?“, fragt sie immer. Wird aber nicht böse, wenn man ihr nur zwanzig gibt. Die junge Frau macht die Runde der Neuköllner Kneipen mit ihrem braunen langhaarigen Hund und sammelt Spenden in einem Pappbecher. Oft wartet der Hund auf der Couch auf sie, von unten guckend, die Schnauze zwischen den Pfoten. Wenn sie zur Tür geht, zuckt der Hund kurz zusammen und macht es sich gleich wieder gemütlich. Ich weiß nicht, wie sie ihn überzeugt, sie redet Polnisch mit ihm. Aber am Ende steht er auf und folgt ihr widerwillig.
Von den Menschen, die regelmäßig am Boddinplatz nach Geld fragen, ist sie die jüngste. Sie trägt Dreadlocks, eine Lederjacke im Sommer und Winter und Punkstiefel. Manchmal sind ihre Augen außergewöhnlich hell, und wenn man ihr ins Gesicht guckt, ist es wie einen kleinen Trip ins Unbekannte zu machen.
Einmal ist sie alleine unterwegs und ich will wissen, wo der Hund sei. Sie fängt an zu weinen und erzählt, sie sei am Kotti in einem Späti gewesen und dann war der Hund weg. Sie denkt, dass jemand ihn mitgenommen hat, der Hund sei ihr nie weggelaufen. Ich will etwas sagen, aber sie fängt plötzlich an, laut zu schreien und entfernt sich von meinem Tisch, bevor ich meinen Mund aufmachen kann. In dem Augenblick ärgert es mich, so neugierig zu sein. Und, dass ich nach Hause gehen werde, mich um meine eigenen Sorgen kümmern und die Geschichte mit dem Hund vergessen werde, auch wenn sie mich traurig macht. Doch ich denke oft an sie und gucke mir jeden braunen Hund auf der Straße genauer an.
Als sie nach einiger Zeit wieder auftaucht und ich merke, dass der Hund bei ihr ist, bin ich erleichtert und freue mich, die beiden zu sehen. Wir lächeln uns an, ich finde fünfzig Cent in meiner Tasche und stelle keine Fragen. Luciana Ferrando
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