berliner szenen: War das Gaulands Gesicht?
Eine dünne weiße Schicht liegt auf den Schienen, als der Zug vom Hauptbahnhof losfährt. Es ist knapp 8 Uhr und wird langsam hell. Der Zug ist mit FC-Union Berlin Fans belegt, vor allem Männergruppen, aber auch gemischte Cliquen und Familien. Laute Gespräche, klimpernde Bierkästen. Ich freue mich, einen Platz am Fenster zu finden, auch wenn er rückwärts ist.
In Berlin-Spandau steigen zwei Frauen und zwei Männer (auch Fußballfans) ein, die mich wegschicken, da sie eine Sitzplatzreservierung haben. Der Anzeiger sei kaputt, sagen sie, deshalb stehe dort nichts. Ich will protestieren, aber als einer der Männer seine Jacke auszieht und ich seine Tattoos sehe, nehme ich mich zusammen und mache den Nazis Platz. Ich schäme mich dafür, habe aber keine Energie zu streiten. Wenn ich bleiben würde, wäre es ein Risiko: Ich würde bestimmt etwas hören müssen, das mich empört und entweder doch die Klappe aufmachen oder mich stundenlang machtlos und feige fühlen.
Ich habe Glück und finde wieder ein Fenster, diesmal sogar in Fahrtrichtung. Dann kommt ein großer Mann mit kariertem Hemd und fragt, ob neben mir frei ist. Er packt seine Welt am Sonntag, ich meine taz.am wochenende aus. Er öffnet eine Mappe und fängt an zu schreiben. Hat er einen AfD-Aufkleber auf seinem Mappenumschlag gehabt? War das Alexander Gaulands Gesicht in Shepard-Fairey-Style, wie der Obama von „Yes, we can“? Nein, das kann nicht sein, ich muss mich verguckt haben. Aber als er am Telefon irgendwas von Bundestag und Öffentlichkeitsarbeit sagt, bin ich nicht mehr so sicher.
Ich überlege weiterzuziehen, Zugnomade zu werden. Doch stattdessen setze ich Kopfhörer auf und versuche mich nur auf die immer weißer werdende Landschaft zu konzentrieren.
Luciana Ferrando
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