berliner szenen: Wird's bald, Hände auf den Rücken
Kurz nach eins werde ich aus dem Schlaf gerissen. Es ist nicht der Nachbar gegenüber, der in seiner Wohnung wieder eine Schlagerkaraoke-Grölparty veranstaltet. Irgendwer scheint irgendwen zu verfolgen. Schreie, Rufe, Gerenne. Auf dem Spielplatz vor meinem Haus ist der Ausreißer eingeholt. „Auf den Boden“, brüllt einer, „auf den Boden!“ Der Bedrängte stöhnt, presst Unverständliches hervor. „Halt die Fresse!“ Dann der nächste Befehl: „Hände auf den Rücken!“ Noch einmal eindrücklicher: „Wird’s bald, Hände auf den Rücken!“
Ich stehe mittlerweile am Fenster und verfolge die Szene mit etwas erhöhtem Puls. Andere stehen auch hinter den Gardinen und gucken, was los ist. Vier oder fünf Taschenlampen leuchten da unten ins Dunkel des Spielplatzes hinein. Es sind nur Schemen zu erkennen. Ein Anwohner ruft, was der Krach solle. „Das ist ein Polizeieinsatz“, antwortet ein Polizist, und er klingt genervt. Wenig später wird ein Mann abgeführt, relativ klein, untersetzt, der mit seinen Handfesseln gebeugt geht. Ich erinnere mich an eine ähnliche Szene. Vor ein paar Jahren schreckte ich nach einem veritablen Rums auch mitten in der Nacht hoch. Ein große Scheibe war zu Bruch gegangen, unten im Ladenlokal, das damals von Künstlern und Modedesignern bewohnt wurde. Ein Schattenriss flüchtete auf den Spielplatz, später dann in einen nahe gelegenen Park. Wie sich herausstellte, hatte der Einbrecher einen Computer gestohlen, die Polizei sprach von „Beschaffungskriminalität“. Auch andere Scheiben gehen in diesem beschaulichen Viertel in Prenzlauer Berg manchmal kaputt: die des Krämerladens an der Ecke oder von Pkws.
Am Morgen erzähle ich vom nächtlichen Treiben. Meine Frau hat nichts mitgekriegt. Sie schläft tiefer als ich. So tief, wie sich das für Berliner Nächte eigentlich gehört. Markus Völker
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