berliner szenen: Sonnen und trinken
Der Vater
Der Mann hing kopfüber im Gebüsch. Aus dem borstigen Grün ragte nur sein taumelnder Körper. Mit langsamen, fast eleganten Bewegungen ruderte der Mann mit den Armen. Seine Füße zogen mit ungelenken, schwankenden Schritten weite Kreise um seinen Schwerpunkt, der sich irgendwo in dem Gestrüpp befinden musste. Nach einer Weile schien ihm auch diese Anstrengung zu groß. Erschöpft verharrte er in der kopflosen Stellung. Passanten konnten nicht erkennen, ob dieser Mensch alt war oder jung. Hatte er ein Ziel? Suchte er Ruhe? Der Mann blieb alle Antworten schuldig. Er hing einfach nur im Gebüsch, mitten auf dem Grünstreifen der Karl-Marx-Allee.
Es war ein fauler, sonniger Nachmittag. Andere Berliner waren morgens in die Autos gestiegen, um draußen in den Wiesen zu liegen. Aber dieser Mann hatte schon vorher angefangen zu trinken. Wenn auf ihn ein Fahrzeug gewartet hatte, dann war es vermutlich lange abgefahren. Die Straße wirkte leer. Plötzlich gab es indes auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein helles, platzendes Geräusch. Jemand hatte aus einem Fenster der Mietshausfassade eine Wasserbombe auf den Bürgersteig fallen lassen. Der Mann im Gebüsch hörte dieses Geräusch jedoch nicht. Es war der Tag, an dem Bob Dylan Geburtstag hatte. Und er hatte gerade andere Sorgen. KIRSTEN KÜPPERS
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