berliner szenen: Wenn es zu Hause spukt
Wo ist Steven?
Seit einer Weile spukt es in meiner Wohnung. Zuerst verschwand ein Buch, das ich noch zu Ende lesen wollte. Auch eine neue Flasche Hustensaft war auf einmal nicht mehr da. Ebenso ging eine volle Milchtüte verloren. Es gibt für diese Vorkommnisse keine natürliche Erklärung. Zurück bleibt bloß ein Kopf voller Fragen. Und natürlich der Husten. Schlafen kann ich schon lange nicht mehr.
Gleichzeitig häufen sich diese Telefonanrufe. Es gibt Tage, an denen nur fremde Menschen anrufen. Eine Frau von der Lufthansa, die einem Unbekannten einen Flug nach Düsseldorf bestätigt. Die Sekretärin eines Investmentfonds. Eine Russin, die ihren Bruder sucht. Später will Benjamin noch Heike sprechen. Zuletzt rief ein Mann an, der fragte, ob ich mit Versicherungen zu tun habe. Als ich verneinte, legte er den Hörer schnell wieder auf. Der Informationsgehalt dieser flüchtigen Botschaften erschließt sich mir nicht.
Dazwischen meldet sich immer wieder Angelika. Sie spricht lange, traurige Nachrichten auf meinen Anrufbeantworter. Offensichtlich ist sie sehr verliebt. Nicht in mich, sondern in einen Jungen namens „Steven“. Immer wieder bittet sie Steven, er solle sie zurückrufen. Die Stimme klingt kindlich und sehr einsam. Als ahnte sie aus der Ferne, dass ihre Botschaften nicht ankommen.
Einmal hatte ich Angelika persönlich am Apparat. Ich sagte ihr, dass es sich offenbar um die falsche Nummer handelt. Aber Angelika gibt nicht auf. Gestern sprach sie mir wieder eine Nachricht auf das Band. Steven solle sich bei ihr melden. Er soll das bitte tun. Steven, wo bist du? Angelika liebt dich. Und sie hat irgendwelche Probleme mit ihrem Wohnberechtigungsschein.
KIRSTEN KÜPPERS
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