berliner szenen: Mannheim Mississippi
Jazz-Männchen
„Du deutscher Jazzfan!“ Uups. Ist mir so rausgerutscht. Eigentlich wollte ich den doofen Mann als „Du Rattanmöbelbesitzer!“ beschimpfen. Das nimmt sich natürlich nicht viel. Wer Rattanmöbel hat, geht zwar nicht unbedingt ins Quasimodo. Ich könnte mir allerdings lebhaft vorstellen, wie eine Rattanmöbelbesitzerin sich mit einem Quasimodogänger „auf einen Kaffee“ trifft. Mach ich aber nicht. Habe noch zu viele schlimme Bilder von gestern Abend im Kopf, als „Mardi Gras.BB“ im Tränenpalast spielten. Mardi Gras.BB aus Mannheim am Mississippi. Zu Anfang hätten sie mich nämlich fast genarrt, es war dunkel, ich gut gelaunt, und fand das ganz prima, wie die neun Männer so blechblasend um die Ecke kamen: Man hörte Geschepper, und sieben Bläser in weißen und zwei wirklich coole Schlagzeuger in schwarzen Anzügen marschierten wie eine New-Orleans-Two-Step-Kapelle zwischen den erstaunten Zuschauern auf. Dann spielten alle Soli, die beiden coolen, glatzköpfigen und lustige-Angeber-unten-Bärte-tragenden Drummer natürlich die besten.
Als aber beim zweiten Stück der Sänger mit dazukam, irgend so ein dünnes, möchtegernlustiges Jazz-Männchen mit Rattanmöbelfreundin, wurde sofort alles klar. Plötzlich sah man den Saxofonisten, den Trompetern und Posaunisten an, dass sie Christian, Markus, Stefan und, höchstwahrscheinlich, Roland heißen. Dass sie leutselig werden, wenn sie Bier trinken. Plötzlich verblassten auch die eigentlich schicken weißen Anzüge, und ich erkannte, dass nur der rothaarige Tenorsaxofonist einen Putz trägt, mit dem man Jazz machen kann. Oder seit wann lässt sich mit fisseligen Locken in Zopflänge(!) und einer runden Brille ein Rhythmus lostuten, -blasen oder -trommeln, der nicht nur in, sondern auch zwischen die Beine geht? Also. JENNI ZYLKA
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