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Archiv-Artikel

berliner szenen Karstadt lebe hoch

Tantchens Geburtstag

Am Samstagabend mache ich mich auf den Weg. Ein bisschen habe ich mich ja schon gewundert, dass ich zu ihrem Geburtstag eingeladen bin: Erstens kennen wir uns gar nicht so gut, und zweitens habe ich sie auch nicht zu meinem gebeten, was sie mir offenbar nicht krumm genommen hat, die alte Tante Karstadt am Herrmannplatz. 75 Jahre wird sie heute.

Mir fällt auf, wie verstopft sogar die Seitenstraßen sind, auf denen ich zum Geburtstagskind radle – ein wenig erinnert mich die Szenerie an die Bilder von Highways in Florida, auf denen sich verzweifelt vor dem Hurrikan Flüchtende rettungslos blockieren. Das ist bestimmt wegen des Marathons morgen.

Es ist nicht wegen des Marathons – das wird mir spätestens am Eingang zur Jubilarin klar: Ich bin nicht der einzige Gast, sondern einer von etwa zwei Millionen Neuköllnern, die alle auf einmal versuchen, Karstadts gute Stube zu entern. Nach dem Motto „je oller, desto doller“ hat sich die Greisin nicht lumpen lassen: Sie gibt leckere Rabatte aus für alle und alles – auch für Sportschuhe. Genau deshalb bin ich hier.

Das Haus ist restlos überfüllt, es herrscht Ausnahmezustand – im Grunde müsste man sofort räumen lassen. Das erfreulich zahlreiche Personal ist allerdings in Festtagsstimmung: Wenn ich heute daran denke, wie oft ich im leeren Kaufhaus vergeblich nach Hilfe gesucht habe …

Ich finde Schuhe, lasse mir ein passendes Paar bringen und probiere es an. Jetzt nur noch schnell bezahlen. An allen Kassen stehen MoMA-Schlangen und „ich hab noch Termin“, wie der Fußballprofi sagen würde. Ich gebe die Schuhe zurück und gehe. Meine Konsumfreude ist mir verhagelt. Auch draußen regnet es: ein Wetterchen wie zu Karstadts Geburtstag! ULI HANNEMANN