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berlin viralUnd täglich grüßt die Leberwurst

An der Ampel – es ist eng – rücke ich einem anderen Radfahrer versehentlich zu nah auf die Pelle. Mit der verhärmten Miene des resigniert vor einer Klasse unbelehrbarer Wichte stehenden Lehrers, der seinen Zynismus kaum noch zu zügeln weiß, dreht er sich zu mir um.

„Das sind für dich ein Meter fünfzig Abstand?“, fragt er in dem allzu vertrauten Ton, von dem ich schwarzen Allergieausschlag bekomme: Es ist dieselbe passiv aggressive Klagemelodie, wie sie auch im Netz oft jene säuerlich verjaulte Belehrungskultur der Millennials untermalt, die hier eins zu eins analog auf die Straße und den Radweg übertragen wird – ich hab sie ja sooo gefressen.

Er ist sichtlich in seinem Lieblingselement: Er hat jemanden dabei erwischt, dass er was falsch gemacht hat, und klagt es in seiner gerechten Empörung an. Dem grauhaarigen Schwurbelschwein wird er es zeigen – Boomer, in your face! Oft sind es so Jungs, bei denen es spürbar im Lachkeller gebrannt hat. Löschen zwecklos.

Leider nimmt er mir damit von vornherein jede Chance, mein berühmtes entschuldigendes Lächeln aufzusetzen, für das mich alle so lieben, und zu sagen, „Sorry, ja, klar. Da hab ich nicht aufgepasst.“ Denn natürlich hat er recht. Das passiert mir manchmal. Ich bin auch schon ohne Maske in kleine Läden gerannt, kurzzeitig vergessen halt, ups, alle tot. Irgendwann, in zehn oder zwanzig Jahren, werden wir eine Generation haben, der das korrekte Pandemieverhalten in Fleisch, Blut und Gene übergegangen sein wird: Zähne putzen, Maske, Schutzanzug. Ich gehöre noch nicht dazu.

Aber zum Einlenken hab ich jetzt schon gar keine Lust mehr, wegen der Allergie. Nix mit sorry. „Spuck mich nicht an …“, sage ich, denn weil hier tatsächlich kein Platz zum Ausweichen ist, sprüht er mich nun aus nächster Nähe wie ein Wal mit seinen Aerosolen voll. In seinem heiligen Zorn hält er es offenbar für adäquat, mich umzubringen – und sich selbst ebenfalls, ich muss schließlich antworten.

„Du, so geht das nicht, mal rein PR-technisch“, würde ich dem Buben gerne mitteilen, und ich hoffe, dass ich ihn genau damit erreiche. „Ich pitch dir das mal kurz: Mit deinem negativen Framing hast du dein Zielpublikum im Nu am Shitpoint. Check noch mal dein Wording und vor allem den Sound, der ist echt suboptimal. Wie so ’ne Heulboje auf Valium. Spätestens nach dem zweiten Wort schalten die Leute ab. Wenn du Glück hast, ist nur die Aufmerksamkeit weg, aber schlimmstenfalls werden sie sogar aggro. Und hauen dir aufs Maul. Aber so was von. Also ich sag’s dir ja nur. Kon­struk­tive Kritik. Man will ja helfen. Am besten, du droppst diesen lamen Supremacy-Ansatz komplett und lässt dir nicht so raushängen, dass alle anderen doof sind, und du bist der Alles­checker vor dem Herrn und sowieso der bessere Mensch.“

Der Witz ist ja, dass er das gewissermaßen ist, zumindest verglichen mit mir, aber kluges Lobbying sieht trotzdem anders aus. Ich verset’ mich mal in seine Lage: Wenn man will, dass die Doofen Erkenntnisse gewinnen und sich vielleicht sogar ändern, muss man das taktisch schon subtiler anstellen. Keyword „Friendliness“. Wenn es überhaupt das ist, was sie wollen. Denn ich fürchte, das interessiert die gar nicht. Es geht ihnen einfach nur darum, ihre moralische Überlegenheit zu demonstrieren, jeder soll es sehen, jede soll es wissen, ihnen geht dabei einer ab, es ist ihnen Nahrung und Luft zum Atmen, es soll in der Zeitung stehen und später auf dem Grabstein, na ja, vielleicht vertrage ich auch bloß keine Kritik. Uli Hannemann

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