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berlin viralIch spüre, wie der Alkohol sanft meinen Gaumen streichelt

Mein Gaumen lechzt nach einem Glas Wein an einem der runden Bistrotische in der Bar gegenüber meiner Wohnung. Ich sehe mich die Getränkekarte öffnen und nach deren genüsslicher Lektüre einen Grauburgunder auswählen. Um mich herum vereinzelt angetrunkenes Gelächter. In Erwartung meiner Freunde bestelle ich eine Karaffe Wasser. Ich bin so selten die erste in einer großen Runde, dass ich den Moment alleine in vollen Zügen genieße. Als der Kellner eine Schale dunkelgrüner, praller Oliven auf den Tisch stellt, fühle ich meine Vorfreude auf den baldigen Genuss des frischbuttrigen, feinrassig sauren Grauburgunders wachsen. Bei dem Gedanken an die Abneigung meines Freundes gegen blumige Weinbeschreibungen freue ich mich, ihm gleich den erdäpfelerahnenden, im Abgang waldigen Bordeaux zu empfehlen, der laut Prämierung muskulös und zugleich filigran dem Connaisseur nichts verheimlicht.

Ich sehe den Kellner an meinen Tisch treten und ein kühl beschlagenes Glas Grauburgunder vor mir absetzen. Meine Hände umfassen leicht den Stiel, ein zarter Duft von Birne streichelt meine Nase, und während ich das Glas an meine Lippen führe, explodiert in meinem Kopf die Erinnerung an eine sonnendurchflutete Wiese, eine Picknickdecke und einen herrlichen Rausch. Die kühle Flüssigkeit verteilt sich auf den Geschmacksknopsen meiner Zunge, und ich schließe die Augen und genieße.

Als meine Freunde eintrudeln, bin ich bereits ein wenig angetrunken. Wir lachen über den Bordeaux, der nichts verheimlicht, und mein Freund bestellt aus Trotz ein Pils. Noch bevor sich seine Finger um das eiskalte Glas legen, habe auch ich ein Bier bestellt. Ein kleines Bier für den Durst, der Kellner schmunzelt, ich bin nicht die einzige, die sich durch seine perfekt inszenierte Schaumkrone dazu inspirieren lässt. Ich spüre, wie mir der Alkohol angenehm zu Kopf steigt. Meine Freundin lässt mich von ihrem Cremant nippen, ich reiche ihr den Bordeaux. Ein köstlicher Kontrast. Wir bestellen eine Flasche für den ganzen Tisch, und schon klimpern Eiswürfel im ersten Cocktail des Abends. Dark and stormy ist das Nationalgetränk der Bermudas, die Insel wegen des sensationellen Rums eine Reise wert. Einer meiner Freunde erzählt von seinem letzten Urlaub dort. Scharf prickelt der Ingwer auf der Zunge, ein gereifter dunkler Rum aus Trinidad vervollständigt das Geschmackserlebnis einer Karibiknacht.

Musik ertönt durch die Abendsonne. Und während sich die letzten Sonnenstrahlen dieses warmen Frühlingsabends in den Eiswürfeln brechen, spendiert der Kellner eine Runde Haselnussschnaps. Ich spüre, wie der Alkohol sanft meinen Gaumen streichelt, mein Körper fühlt sich leicht an, Lust bemächtigt sich all meiner Sinne. Wir lachen betrunken, und ich schmecke auf den Lippen meines Freundes die erdige Romantik eines Silvaners. Die Sonne geht unter, meine Haut prickelt, und den klirrenden Gläsern entsteigt der Duft von frisch gemähtem Gras. Die Zeit verliert sich, ein Sauvignon Blanc, ein Chardonnay, goldgelb und perlend ergießt sich himmlischer Geschmack in meinen Mund …“

„Coronakrise? Und keine Feier in Sicht?“, fragt mich meine Freundin mitleidig durchs Telefon.

„Nein“, sage ich, „schwanger und seit sechs Monaten kein Alkohol!“ Eva Mirasol

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