berlin 2005 : Jenseits des Jammertals
Es braucht nicht besonders viel Durchblick, auch im gerade begonnenen Jahr über Berlin und seine Protagonisten zu spotten. Wer arm ist und sich dazu noch dämlich anstellt, hat Häme wohl zu Recht verdient. Die Hauptstadt bleibt pleite. Bundeshilfen per Gesetz wird es nach dem Föderalismus-Fiasko ebenso wenig geben wie neue Arbeitsplätze en masse und Ansiedlungen von Großunternehmen. Und dass Klaus Wowereit sich hier und da blamiert, die CDU-Opposition zugleich niemand hat, der sich blamieren könnte, bleibt das politische Tagesgeschäft, das auch 2005 mehr trauig als euphorisch daherkommen wird.
KOMMENTAR VON ROLF LAUTENSCHLÄGER
Muss darum nur weiter gejammert werden? Wohl kaum. Jenseits von Tempodrom- und Bankenskandalen, von Schulden und Armut, von Provinzpolitikern samt deren Possen konstituiert Berlin auch in diesem Jahr eine zweite Wahrnehmung als Hauptstadt, die eine Fürsprache und Respekt verdient.
60 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg wird im Mai nicht nur der Befreiung gedacht, sondern auch das Holocaust-Mahnmal samt Ort der Information eröffnet. Für die Stadt kommt das einem großen und ernsten Akt des Gedenkens an die Opfer gleich, dem sie sich stellt und für den sie Verantwortung zu übernehmen bereit ist. Zugleich wird mit der Akademie der Künste am Brandenburger Tor wieder ein Zentrum der Kunst und Kulturgeschichte fertig gestellt, das ebenfalls die Ausnahmestellung Berlins symbolisiert. Dass die Kultur mittlerweile zum eigentlichen harten Wirtschaftsfaktor für die Stadt avanciert ist, ist nicht neu. Es zeigt nur umso mehr, wo die Potenziale liegen – in den großen kulturellen Institutionen, bei der Szene und den freien Produzenten, und auch in den Instituten der Wissenschaft und Forschung. Bilden diese doch den Nährboden, Pleiten einmal zu entkommen.