■ beiseite: Techno
Richie Hawtin ist Perfektionist. Wenn er eine Mix-CD macht, dann benutzt er nicht nur drei Plattenspieler, einen Mixer, eine Drum-Maschine und mehrere Effektgeräte, dann packt er nicht nur 38 Stücke auf die Strecke von einer Stunde – das sieht dann auch so aus. Da sind dann nur sein Glatzkopf und die Geräte auf dem ansonsten schwarzen Cover, und im Booklet ist eine genaue grafische Aufschlüsselung, wann welcher Track läuft und mit welchen anderen Tracks er sich überschneidet. Und das hat seinen Grund, denn ohne weiteres hören tut man das nicht. Hawtin ist eben Perfektionist.
Richie Hawtin kommt aus Kanada, aus einem kleinen Kaff namens Windsor in der Nähe der US-amerikanischen Grenze, nicht weit von Detroit. Als Plastikmanm zieht er ja schon ein paar Tage länger um die Häuser, mit Plus 8 begründete er Anfang der Neunziger eins der renommiertesten Labels der Techno-Frühphase, spielte überall, wo man die Plattenspieler pitchen konnte, und scharte eine Posse von Jüngern um sich, die sich auch alle eine Glatze scheren ließen und die – genau wie Richie – intellektuelle Brillen trugen, Aufputschmittel nahmen und Mineralwasser tranken. Dazu gehörte auch noch eine Philosophie, die zu guter Letzt darauf hinauslief, mit Technik ein besseres Morgen in Form einer perfekteren Gegenwart zusammenzumixen. Das klang gut und passte zu dem Egghead-Design der geschorenen Köpfe.
Das war ganz schön schnelle Musik, die Richie Hawtin damals auflegte, doch immer nur jeden Abend voll auf die zwölf zu kloppen war für einen umtriebigen Gesellen wie ihn auf die Dauer zu langweilig. Und so startete er weitere Produktreihen. Da die Plastikphilosophie ohnehin auf puristischen Minimalismus hinauslief, kürzte er etwa den Sound seiner Produktionen so weit herunter, dass nur noch die Bässe und ein bisschen dubbiges Geplocker übrig blieb, und eroberte so auch die Herzen derjenigen, die lieber herumstehen, als zu schütteln, was sie haben.
Doch nun beehrt Richie Hawtin mit seinem Multimix-Konzept die Clubs Europas. Plattenspieler, Drumcomputer und Effektgeräte, die per Fußpedal angesteuert werden. Aber wer genau hinguckt, ist ohnehin fehl am Platz. Richie Hawtin hat sich nicht die Haare abgeschnitten, damit ihm die Leute besser auf die Finger schauen können. Hier geht es nicht um Virtuosität, sondern darum, sich zu bewegen. Perfektion ist dazu da, dass man sie nicht bemerkt. Tobias Rapp
Heute ab 24 Uhr im Tresor, Leipziger Straße 126 a
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