beim zeus : Die Exoten werden unexotischer
FRANK KETTERER über Sportler, die zwar ohne Chancen, aber bestens vorbereitet zu den Olympischen Spielen kommen
Es war noch vor der Abfahrt nach Olympia, als die kleine Chefredakteurin dieser tapferen Zeitung (oder war es umgekehrt?) einen letzten Wunsch äußerte, bevor man sich von dannen machte. Ob man denn auch mal eine Geschichte über all die Kleinen und Unterdrückten zu lesen bekomme, wollte sie wissen, und als gehorsamer Sportredakteur hat man natürlich sogleich zugesichert, brav auch mal ein Geschichterl über all die Kleinen und Unterdrückten hier bei den Spielen, umgangssprachlich Exoten genannt, zu schreiben. Nun, da man gut eineinhalb Wochen intensivste Exoten-Recherche hinter sich hat, soll das Versprechen eingelöst werden, auch wenn das gar nicht so einfach ist.
Zwar gibt es selbstredend auch bei diesen Spiele sogenannte Exoten, allein: Sie sind nicht mehr so exotisch wie früher. Will heißen: Wo früher noch Sportler starteten, die ihre Sportart überhaupt nicht beherrscht haben oder nur ansatzweise ausüben konnten (man denke an Eric the Eel, der in Sydney fast im olympischen Schwimmbecken abgesoffen wäre), starten heute Sportler, die einfach weniger gut sind als die meisten anderen, durchaus aber einige Ahnung haben von ihrem Metier. Im Gegensatz zu früher sind heute nämlich auch die Exoten nach bestem Wissen und Gewissen vorbereitet, so wie alle anderen Sportler. Nur mit der Leistung hapert es ein wenig, absaufen aber, das kann man jetzt schon so feststellen, würde hier in Athen keiner mehr.
Shaka Sola ist dafür ein prima Beispiel. Shaka kommt aus Samoa, ist 27 Jahre alt, und bei Olympia war er als Diskuswerfer am Start. Das ist keine schlechte Idee für einen Mann, der nur 1,75 m groß, dafür aber nette 110 Kilo schwer ist. Shaka sah also aus wie ein richtiger Diskuswerfer, nur ein bisschen kleiner und runder vielleicht. Und auch dass er gesagt hat: „Ich habe irgendwann mal angefangen, mit Kokosnüssen rumzuschmeißen, und gemerkt, dass das ganz gut geht“, war nichts weiteres als eine Finte. Shaka hat sich hier wohl absichtlich als Exot präsentiert, aber als er dann in den Ring gestiegen ist, um die Scheibe zu werfen, hat man gleich gemerkt, dass er das nicht zum ersten Mal tut, sondern vorher heimlich geübt hat. Auf 51,10 m hat Shaka das Fluggerät jedenfalls geschleudert, eine Weite, die zwar knapp 20 Meter hinter der des Siegers lag, aber doch so groß, dass kein Mensch sie einfach so werfen könnte, ganz ohne Training. Zumal Shaka, wie er schließlich zugibt, in seinem Leben schon acht Meter weiter geworfen hat, seine Bestleistung liegt bei 58,68 m. Und das wiederum ist eine Weite, mit der man es auch bei deutschen Meisterschaften ziemlich locker in den Endkampf schaffen kann. Wenn man wissen möchte, warum Shaka so gut wirft, wo er doch ein Exot sei und das eigentlich gar nicht können dürfte, dann grinst Shaka ein bisschen und erzählt, dass das mit dem Kokosnusswerfen tatsächlich ein bisschen geschwindelt gewesen sei und er das Diskuswerfen in der Schule gelernt habe. Vor Olympia hat Shaka, der zu Hause in Samoa übrigens ein Star ist und bisweilen auch Autogramme schreiben muss, wie er erzählt, mit seinem Trainer übrigens zwei Mal am Tag geübt, viel öfter trainiert Lars Riedel auch nicht.
Auch Ibrahim Githaija ist das, was man gemeinhin einen Exoten nennt. Das hat damit zu tun, dass der 35-Jährige aus Kenia kommt und beim Rudern gestartet ist. Kenia hat ja viele gute Läufer, aber einen Ruderer bei Olympia, das hatten sie noch nie. Wie auch, es gibt ja nur 20 Menschen, die diesen Sport in Kenia überhaupt ausüben – und nur zehn Einer- sowie Zweier-Boote, in denen sie üben können. Ibrahim hat viel und wohl am meisten geübt. Zuerst allein mit seinem Trainer, später haben sie dann über den Internationalen Ruderverband Fisa Kontakt zu Jasper Smink aufgenommen, einem holländischen Ruder-Trainer. Smink kam für zwei Wochen nach Kenia, um Ibrahim noch ein paar Feinheiten und Trainingstricks beizubringen, und als der Trainer wieder zurück war in seinem Käseland, hat er seinem Schüler in Kenia per E-Mail weiterhin fein und säuberlich Trainingspläne geschickt und Ibrahim hat brav und fleißig danach trainiert. Die Mühen haben sich gelohnt, im April qualifizierte sich Ibrahim auf dem Lac Nord in Tunesien für die Spiele, und um in Athen noch besser sein zu können, ist er anschließend sogar für zweieinhalb Monate nach Holland gezogen, um sich in Sminks Trainingsgruppe den allerletzten Schliff zu holen.
Auch Ibrahim war also bestens präpariert, und die Mühen haben sich gelohnt: Der Mann aus Kenia ist bei Olympia für seine Verhältnisse ein sehr gutes Rennen gefahren, ganz bestimmt sogar das Rennen seines Lebens. Ibrahim hat gerudert wie alle anderen – und er hat gekämpft wie alle anderen. Nur dass er am Ende seines Vorlaufes ein bisschen später ins Ziel gekommen ist, knapp eine Minute nach dem Sieger, dem späteren Silbermedaillengewinner Jueri Jaanson aus Estland. Aber dass es so kommen würde, das hatte Ibrahim schon vor dem Rennen gewusst.