bascha mika über Leidenschaften: Wenn Clint Eastwood endlich klein beigibt
Wir bewundern Gutmenschen. Aber nicht lange. Dann wollen wir sie scheitern sehen – damit sie so sind wie wir
Was ist gemeiner als der Kampf zwischen Gut und Böse? Clint Eastwood in „Erbarmungslos“. Ein Film, in dem er als Revolverheld das Gute in sich bekriegt und erfolgreich niedermacht, bevor er schwer bewaffnet gegen das Böse draußen zu Felde zieht.
Nicht viel anders stellt sich der Kampf zur Zeit bei den Grünen dar. Sie treffen sich am Wochenende zu ihrem Parteitag, um ein moralisch-politisches Kunststück zu vollbringen. Nachdem die Regierungsgrünen bei der Kanzlerfrage letzte Woche nonchalant ihr Gewissen halbiert haben, müssen sie den Basisgrünen jetzt beweisen, dass es nichtsdestoweniger vorhanden ist. Gleichzeitig aber dem Kanzler, dass sie realpolitisch taugen und ihre friedenspolitische Verschwurbeltheit vergessen. Versagen sie beim Ersten, droht die grüne Partei auseinander zu fallen wie ein fauler Fisch. Versagen sie beim Zweiten, die rot-grüne Koalition.
Schuld daran sind natürlich die grünen Gutmenschen, die die Kriegsfrage partout nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren wollen. Die sich leidenschaftlich weigern, dem Feind – natürlich ungern und nur um des lieben Friedens willen – den Schädel einschlagen zu lassen und auf einem kriegskritischen Parteitagsbeschluss beharren. Als wenn sich die Spitzengrünen nicht bereits alle Mühe gegeben hätten, den Kriegseinsatz der Bundeswehr durch allerlei Maßnahmen abzupampern.
Aber sie sind konfrontiert mit Leuten, die sich erst einmal lange dumm stellen, als hätten sie’s bei Eastwood abgeguckt. Die nicht begreifen wollen, dass es nicht darum geht, ob man gut oder böse ist, sondern nur noch auf welche Weise man böse ist. Und auch das Mephisto-Prinzip, nach dem man das Schlechte tut, um das Gute zu erreichen, scheint ihnen erstaunlich fremd. Was sagte doch kürzlich ein grüner Delegierter aus dem Westerwald: „In der Opposition braucht man die Schweinereien nicht mitzumachen und sein Gewissen damit zu belasten.“
Es gibt einen „Schuldzusammenhang alles Lebendigen“ möchte man ihm mit Adorno einbläuen, aber wahrscheinlich würde auch das nicht nützen. Woran sich zeigt, dass den Gutmenschen letztlich nichts treibt außer seiner moralischen Eitelkeit: Bedenkenträgerei sprießt ihm aus den Knopflöchern, Sensibilität und Sorge aus jeder Gesichtsfalte.
Den Tugendterroristen haben wir es zu verdanken, dass wir uns nun mit Gesinnungs- und Gewissensfragen herumschlagen müssen, mit der moralischen Letztbegründung von Politik. Aber auch das geht vorbei. Schließlich verkündet Verbraucherministerin Künast, dass die Grünen doch nicht nur „gut“ sein wollten. Davon muss sie jetzt nur noch die gutmenschelnde Basis überzeugen. Auf dass die sich ihrer Prinzipien entledigt, ein bisschen böse wird und damit bereit ist, auf der Seite des Guten gegen das Weltböse zu kämpfen.
Wem sich diese Dialektik nicht ganz erschließt, nehme realpolitischen Anschauungsunterricht bei „Erbarmungslos“, wo Eastwood als geläuterter Pistolero mit zwei Kindern gewaltfrei auf einer mickrigen Schweinefarm lebt. Er liegt mal wieder tief mit der Schnauze im Schweinedreck, da reitet die Versuchung heran, um ihn auf den Weg der Gewalt zurückzuführen. Er widersteht – wegen seiner Kinder und der Erinnerung an seine tote Frau, die ihn zum guten Menschen gemacht hat. Sein Widerstand dauert, er bleibt friedlich, selbst als ihn die Bösen erniedrigen, demütigen, halb tot prügeln. Dann wird sein einziger Freund erschossen. Er geht in den Stall, kramt seine alte Knarre hervor, zieht sich schwarz an und wird zum Rächer. Er kämpft für die Schwächsten, die mälträtierten Prostituierten, und seit er kämpft, bewegt er sich wieder so hart und stumm, wie man es von Eastwood kennt. Gleichzeitig kommt bei ihm der alte erbarmungslose Killer hervor.
Und das ist genau das, worauf die Zuschauer warten. Sie warten darauf, dass der armselige Gutmensch endlich an seiner Gutmenschenrolle scheitert. Wir wollen seinen Fall sehen, seine moralische Korrumpierbarkeit. Seine Rückkehr in das durch brutale Zwänge definierte Leben, das dem gemeinen Zynismus viel und der friedlichen Illusion wenig Raum lässt. Dann ist er wieder wie wir, die wir dem Miesling im Film schon längst gern eigenhändig den Schädel eingeschlagen hätten.
Nicht anders ergeht es uns mit dem Bruder Gutmensch bei den Grünen. Weil wir nur schwer im Stande sind zu entscheiden, ob seine Überzeugung ein Zeichen von moralischer und politischer Reife oder von Unreife und Eitelkeit ist, soll er fallen, klein beigeben, abschwören und sich realpolitisch bekennen. Dann haben wir ihn wieder. Mitten unter uns.
Fragen zu Leidenschaften?kolumne @taz.de
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