barbaren in beijing : Schlaflos im „Emmpiiisiii“
Das Main Press Center, kurz MPC, ist groß wie ein Ozeandampfer und bietet Journalisten ein Dach über dem Kopf
Wir ärgern uns, dass wir in Peking ein Quartier bezogen und dafür teuer bezahlt haben. Wir hätten kostenlos wohnen können. Im Main Press Center, kurz MPC. Wir fühlen uns mittlerweile heimisch in diesen babylonischen Hallen. Es ist eine eigene Stadt mit vielen Sprachen. Man bräuchte das MPC während der Spiele nicht verlassen. Es gibt auf insgesamt vier Etagen einen Friseur und ein kleines Gym. Es gibt einen Massagesalon und eine riesige Kantine, 1.000 Plätze zum Schreiben, Dutzende von Fernsehern, auch einen Volunteer, der Deutsch spricht. Ich begrüße ihn täglich mit „Grüß Gott!“. Er nickt dann sehr freundlich. Jede noch so kleine Information von den Stätten der Wettkämpfe wird ins MPC verschickt, ist abrufbar auf allwissenden Computern.
Die Stadt der Journalisten ist groß wie ein Ozeandampfer. Die Schreiber hausen auf Deck zwo. Noch abends um elf ist es gesteckt voll mit Fleißigen, die auf ihre viereckigen Bullaugen glotzen. Alle haben den olympischem Tunnelblick. Sie hacken wie die Verrückten auf ihre Tastaturen ein. Wenn sie sich erheben, scheinen sie zu schwanken, wie bei Windstärke fünf auf dem Achterdeck.
Monatelang haben wir uns um eine Privatunterkunft gekümmert, dabei hätten wir es so einfach haben können. Wir wären bequem mit unserem Rollköfferchen in dieses schöne Schreibzentrum, vor dem neulich noch ein Schützenpanzerwagen stand, gereist. Die paar Habseligkeiten hätten wir in einen verschließbaren Metallschrank untergebracht. Jede Nacht hätten wir auf einer der Sitzecken geschlafen. Das MPC hat durchgehend geöffnet, kein Problem. Wir hätten die Pekinger Luft nicht inhalieren müssen, hätten keinen Tropfen Schweiß vergossen, und Reisestress hätten wir auch nicht gehabt. Als überehrgeizig hätten wir all jene bezeichnet, die zu den Wettkämpfen hetzen, als würden sie etwas verpassen. Ihr dusseligen Groundhopper, hätten wir zu ihnen gesagt und die Vorzüge unseres Zuhauses Emmpiiisiii gepriesen. Einen Videoabend hätten wir irgendwann veranstaltet. Der Hollywood-Streifen „Terminal“, mit Tom Hanks in der Hauptrolle, wäre gelaufen. Der Hauptdarsteller lebt auf einem Flughafen, führt eine Existenz als Staatenloser im Transitraum Airport. Die Kollegen hätten die Botschaft verstanden: Die wollen bleiben. Die wollen sich länger einrichten im MPC.
Die Spiele sind zwar offiziell schon am 24. August zu Ende, doch vielleicht können wir uns nach der olympischen Schlussfeier einschleichen in dem Riesenbau. Den Dienstboteneingang haben wir schon ausgekundschaftet – für die nacholympischen Tage, da das MPC seine Pforten schließt. Möglicherweise ziehen wir aber schon morgen um. Ja, wir überlegen ernsthaft, unser Quartier jenseits des vierten Pekinger Rings zu verlassen und ins Emmpiiisiii zu ziehen. Unsere Pässe wollen wir in der U-Bahn liegen lassen. Olympia wird für uns niemals enden. Wir wollen staatenlose Olympiabürger werden. Wir, die MP-Citizens.
Markus Völker