barbaren in beijing : Schöne, bunte Verkleidung
Peking ist die Stadt der Zäune, und das olympische Dorf wirkt wie ein Hochsicherheitsgefängnis – die Sportler kümmert das kaum
Wir sind nicht befugt, sie hier einzulassen. Die junge Frau, die vor dem Eingang zum olympischen Dorf sitzt, ist sehr streng. Ich bin verabredet im Dorf. Da gibt es eine Zone, in der sich Presseleute mit den Athleten treffen können. Doch da darf nur rein, wer schon durch eine Sicherheitsschleuse ins Pressezentrum geschleust wurde und mit einem von den Sicherheitsdiensten untersuchten Pressebus hinfährt. Ich bin zu Fuß hingegangen, 45 Minuten. Ein Fehler.
Mit einer Sportlerin hatte ich ein Interview verabredet. Nein, sagt die junge Frau mit dem gestrengen Lächeln, Sie stehen nicht auf meiner Liste. Nur wer auf der Liste steht, darf an ihr vorbei. Nichts zu machen. Kurze Zeit später sitze ich mit einer Olympiasiegerin am Straßenrand und unterhalte mich mit mir. Sie war so nett, kurz einmal vor die Tür zu kommen. Nach dem Gespräch schaue ich ihr nach. Ich sehe, wie sie durch die Tür eines Zaunes auf einen zweiten Zaun zugeht, hinter dessen Durchgang ein dritter Zaun auf sie wartet, hinter dem sich eine Sicherheitsschleuse befindet, in der sich die Olympiasiegerin durchleuchten lassen muss. Das olympische Dorf, es wirkt wie ein Gefängnis.
Die Sportler scheint das nicht zu stören. Es ist wirklich einmalig, hatte vor ein paar Tagen ein Turner zu mir gesagt. Da gibt es sogar Bäume und einen kleinen See. Und von der Mensa hat noch jeder Sportler geschwärmt, den wir nach seinen Eindrücken aus dem Athletenlager gefragt haben. Da soll es sogar einen McDonald’s geben. Den gibt es im Gefängnis freilich nicht. Ich werfe noch einmal einen Blick durch die drei Zäune, sehe ein stinknormales Neubauviertel und denke an typisch deutsche Vororte wie Dallgow-Döberitz, Troisdorf oder Puchheim-Bahnhof. Nur Zäune haben die dort nicht so viele, denke ich mir.
An diesem Tag fällt mir auf, dass Peking die Stadt der Zäune ist. Wenn die Organisatoren der Spiele nicht wollen, dass die Besucher der Wettbewerbe in ein Wohnviertel hineinschauen, dann steht ein Zaun davor, schön bunt verkleidet. „Beijing 2008“ steht darauf. Wenn die Stadtverwaltung nicht will, dass die Olympiatouristen sehen, dass es auch unansehnliche Flächen in der modernen Bürohausstadt gibt, Brachen oder Baulücken, dann steht ein Zaun davor, schön bunt verkleidet. „Beijing 2008“ steht darauf. Immer stehe ich irgendwann vor einem Zaun, wenn ich ein paar Meter gelaufen bin. Bald werden die Zäune abgebaut sein. Die Flächen werden verschwinden, neue Häuser werden hochgezogen, manche sicher von berühmten Stararchitekten entworfen. Steinern, gläsern oder beides und vor allem ziemlich hoch. Darin werden neue Geschäfte eröffnet. Starbucks, Gucci oder ein Paulaner-Brauhaus.
Ob mir das gefallen würde? Finde ich da Dallgow-Döberitz oder Puchheim-Bahnhof nicht sogar schöner? Obwohl, denke ich mir, ein Weißbier in Peking ist auch nicht zu verachten. Was ist nur los mit mir heute?
ANDREAS RÜTTENAUER