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Archiv-Artikel

barbara dribbusch über Gerüchte Trampen ist out

Kommt das Kind in die Pubertät, wird man konservativ

Im Leben eines jeden Menschen gibt es Einschnitte: der zweite richtige Kuss, der erste Job mit Rentenversicherung. Die Tanzparty der Tochter, die gerade die Pubertät betreten hat. Es ist ein komisches Gefühl, wenn man versucht, in der eigenen Küche nicht peinlich zu wirken, während eine Horde Zwölfjähriger bauchfrei durch das Haus tobt.

„Wenn ihr wollt, könnt ihr nachher die Pizzen bringen“, flötet die Tochter. Da sind wir aber froh. Die Pizzen bringen zu dürfen bedeutet, einen Blick in den dicht mit Teenies bepackten Partyraum werfen zu können, ohne dass Charlotte die Augen verdreht, weil die Eltern wieder grundlos stören. Komisch, wie spießig und alt ich mich plötzlich fühle. Nicht nur mein Kind, auch ich mache derzeit eine eigenartige Wandlung durch.

„Man wird konservativer“, sagt Freundin Britt am Telefon, „was glaubst du, was ich mich manchmal reden höre. Gestern hat mich Anna gefragt, ob ich früher mal Drogen genommen habe.“ – „Und?“ – „Na, ich habe gesagt, so zwei, drei Joints.“ Zwei oder drei Joints. Ich habe noch eine vage Erinnerung, wie mir Britt vor mehr als 20 Jahren unwidersprochen erklärte, dass „ein kontrollierter Konsum von Koks“ möglich sei. „Immer nur am Samstagabend. Das ist die eiserne Regel.“ Schnee von gestern, buchstäblich. Ich bin heute gegen Drogen. Die Lodenbaums, die locker erzählen, dass ihr 14-Jähriger am Wochenende „irgendwo mit seinen Kumpels unterwegs ist und kifft“, halte ich für innerlich verwahrlost. „Auch Halluzinogene soll man nicht unterschätzen in ihrer Wirkung auf die Psyche“, meine ich zu Britt, „dazu gibt es neue Forschungen. Und in unseren Familien sind die Seelen sowieso aus Glas.“

„Die schwierigste Frage stellte mir Anna schon vor einem Jahr“, fährt Britt fort, „sie wollte wissen, wie viele Freunde ich vor Philipp hatte.“ – „Hm.“ – „Na ja, ich sagte: drei. Die Zahlen aus den 70er-Jahren kannst du doch nicht vermitteln.“ Britt nimmt den Tonfall einer Soziologin an, die aus einer Untersuchung zum Sexualverhalten in den 70ern zitiert. Jenen Zeiten, als 15-jährige Mädchen aus gutbürgerlichem Haus anstandslos vom Frauenarzt Östrogenbomben verschrieben bekamen und die Jungs versuchten, die Mädchen mit der Wilhelm-Reich-Masche rumzukriegen. Die Masche bestand darin, Sex als eine Art politischen Befreiungsakt zu veredeln. Teenager von heute können sowas nicht einordnen. Ist doch auch gar nicht mehr interessant.

„Weißt du, die wirklich gefährlichen Sachen machen die heute nicht mehr“, sagt Britt, „wenn ich nur an das Trampen denke. Zum Glück fahren heute alle mit Mitfahrgelegenheiten.“ Britt und ich hatten als 16-Jährige den Eltern erzählt, wir reisten mit Interrail nach Paris, zum Sprachenstudium. In Wirklichkeit standen wir an der Autobahnausfahrt mit einem selbst gemalten Schild: „Amsterdam“. Diese Zeiten liegen lange zurück. Trampen ist glücklicherweise völlig out.

„Die Frage ist doch, erlaubt man alles oder verbietet man was und macht die Sache dadurch erst recht interessant?“ Britt steigt jetzt in die höhere Pädagogik ein. „Verbieten kann man doch kaum noch was“, meine ich, „die Frage ist doch eher: wie ehrlich bin ich?“ Britt sagt nichts. Ich weiß, dass sie jeden Donnerstagabend zum Psychotherapeuten geht, den Kindern aber erzählt, sie besuche einen „literarischen Gesprächskreis“. „Die denken doch sonst, ich bin ballaballa oder wir haben eine dicke Ehekrise“, hat sie mir mal erklärt. Interessant, wie sich die elterlichen Lügen im Laufe der Generationen verändert haben.

Die Wahrheiten aber bleiben immer die gleichen. „Charlotte fragte mich mal, auf was es denn bei Jungs so ankomme“, erzähle ich Britt, „ich habe gesagt: Auf den Charakter.“ – „Was ja auch stimmt.“ – „Genau.“ Ich war sogar in Wirklichkeit noch etwas ausführlicher und habe umständlich erklärt, dass ein Junge sie dann liebe, „wenn er nicht nur sagt, er findet dich hübsch. Er muss irgendwas an deiner Seele mögen. Was andere vielleicht gar nicht sehen.“ Vielleicht erinnert sich Charlotte später mal dran. Wäre doch gut. „Überhaupt, warum sollen Kinder nicht von unseren Erfahrungen profitieren?“, frage ich. „Vielleicht wollen sie ihre eigenen machen“, meint Britt trocken. Doch jetzt werden die Pizzen fällig. Die Hilfskellnerin nimmt ihren Dienst auf.

„Okay, Mama, danke‘“, sagt die Tochter mit dem mahnenden Tonfall, der im Subtext immer heißt: „Mach’ dich dünne, je weniger Mutter, desto besser.“ Ich habe die Pizzen abgeliefert und mit einem Blick die Situation erfasst: Die Jungs aus der Klasse stehen in diesem Alter noch etwas linkisch auf der Tanzfläche, sie sind noch nicht dringend notwendig für das Geschehen. Die Mädchen schwirren herum und kichern. Diese bauchfreie Mode! Also beim Nachhausegehen werde ich drauf achten, dass alle warme Jacken oder Mäntel überziehen. Bauchfreie Klamotten führen zu Nierenerkrankungen. Hat meine Mutter früher schon immer gesagt. Und irgendwas wird da schon dran sein.

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