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Archiv-Artikel

barbara bollwahn über Rotkäppchen Das vermeintliche Ostprodukt

Auf den Etiketten steht nur „100 % Baumwolle“ oder „Bügelfrei“. Woher kommen die 70er-Jahre-Kittelschürzen?

Dieser Sommer war für mich der Sommer der Kittelschürzen. Im Juni entdeckte ich in einem Ostberliner Secondhandladen das erste Exemplar. Von schlichter Schönheit und schätzungsweise aus den 70ern: blau-rot gemustert, ärmellos, bis kurz vorm Knie, zum Durchknöpfen, mit zwei aufgesetzten Taschen. Ich probierte sie an und wusste sofort: Durch diesen Sommer gehe ich mit Kittelschürze! Weil die transparenten Knöpfe etwas nach Hausputz aussahen, kaufte ich in einem Knopfgeschäft handgedrehte Exemplare, die mit 12 Euro doppelt so teuer waren wie die Schürze.

An dieser Stelle sei betont, dass es sich bei meiner Neuerwerbung nicht um eine dieser Dederon-Kittelschürzen handelt, die angeblich jede DDR-Hausfrau im Dutzend zu Hause hatte und die in den Ostshows neben FDJ-Blusen vorgeführt werden. Meine Schürze ist nicht aus Dederon, diesem knitterfreien und schwitzaktiven Pendant zur westlichen Kunstfaser Perlon, sondern aus einhundert Prozent Baumwolle!

Jeden Samstag schaute ich nun in dem Secondhandladen vorbei und fragte, ob neue alte Ware eingetroffen sei. Die Inhaber, ein junges Paar, kannten mich nach kurzer Zeit und verdienten pro Wochenende zwischen 7 und 10 Euro an mir: Bald hatte ich neben der Blau-Roten noch eine orange-rot Geblümte, eine, die aussieht wie eine blühende Frühlingswiese, und seit Anfang August auch noch eine einfarbige Grüne.

Immer, wenn ich eines dieser Kleidungsstücke ausführte, und das war sehr oft, sorgten sie für Gesprächsstoff – so wie bei Hundehaltern, die auf ihre Vierbeiner angesprochen werden. Fremde Menschen fragten neugierig: „Was trägst du da?“ Andere spielten sich als Kultspezialisten auf: „Na, haste wieder deine Ostkittel an?“

Ostkittel? Wieso, um alles in der Welt, dachten alle, dass nur im Osten Kittelschürzen getragen wurden? Weil es sonst nichts Vernünftiges zum Anziehen gab? Weil die so gut zum Trabbi passen? Dass die Kittelschürze von Else Kling aus der „Lindenstraße“ seit Jahren im Haus der Geschichte in Bonn hängt, interessiert kein Schwein.

So wie auf einem Polterabend in einer Scheune in Sachsen-Anhalt, zu dem ich meine Lieblingsschürze trug, die rot-orange Geblümte. Als ich am Tresen stand, tippte mir ein alter Mann auf die Schulter. „Ich bin von dem Tisch da hinten in der Ecke“, sagte er mit schüchterner Stimme und zeigte in Richtung heftig winkender Rentnerinnen und Rentner. „Können wir Sie mal was fragen?“ Ich nahm einen kräftigen Schluck Bier. „Na aber immer, raus mit der Sprache, junger Mann“, munterte ich ihn auf. „Ist das eine Kittelschürze, was Sie da anhaben?“, fragte er. „Aber hallo!“, entgegnete ich, vollzog eine elegante Drehung und machte einen Knicks in Richtung der Rentnercombo. Die Herrschaften klatschten gerührt.

Nun, wo sich der Sommer unweigerlich seinem Ende zuneigt, habe ich noch immer nicht herausgefunden, aus welchem Teil Deutschlands meine Kittelschürzen stammen. Die arg ausgewaschenen Schildchen darin liefern nur Informationen wie „100 % Baumwolle“, „Bügelfrei“, „Tropfnaß aufhängen“. Allein in der grünen Schürze steht ein Herstellername. „Teuto chic“ und die Abkürzung „HK“. Das Internet weiß nichts darüber. Hm.

Außer interessanten Gesprächen zur deutsch-deutschen Verständigung haben mir die Schürzen auch noch eine Reise in die Vergangenheit beschert. Nachdem ich die ersten vier Exemplare ohne Probleme erstanden hatte, machte sich ein Engpass bemerkbar. Dederon-Teile, ja, die hätte ich bekommen können, doch die aus Baumwolle wurden Mangelware.

Eines Tages schaute ich wieder einmal in meinem Stammladen vorbei und fragte den Verkäufer, ob neue Lieferung eingetroffen sei. „Bedauere“, sagte er, ohne den Blick von seinem Buch zu heben. Seine Freundin schreibe gerade ihre Diplomarbeit, und deshalb reiche die Zeit nicht für eine Fahrt zum westdeutschen Grossisten. Als er zum Abschied den Kopf hob und sah, was ich trug, hellte sich sein Gesicht auf. „Ach, du bist doch die mit den Kittelschürzen. Warte mal“, sagte er und verschwand hinter einem Vorhang. Nach einigen Sekunden kam er mit einer Plastiktüte zurück. „Das hat meine Freundin für dich zurückgelegt.“

Bückware! Zärtlich strich ich über die Tüte. Vierzehn Jahre nach dem Mauerfall hatte mir eine Verkäuferin etwas zurückgelegt! Inmitten der freien Marktwirtschaft wurde etwas nicht en masse im Geschäft ausgebreitet, sondern nur für mich reserviert! Es war eine entzückende blau-rosa gemusterte Kittelschürze. Aus Baumwolle natürlich. Ich kam mir ungeheuer privilegiert vor.

Antworten zu „Teuto chic“? kolumne@taz.de