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bannmeileIm Andachtsraum

Mobiles Kreuz

Der Raum ist karg, freundlich, und von der Seite her fällt etwas spätsommerliches Licht hinein. Ein dutzend schlichter Holzstühle, wie aus einer Kita, blicken in die Richtung, in der ein massiver Granitklotz ruht. An den rauh verputzten Wänden lehnen reihum Tafeln, die mit Nägeln oder Steinen gespickt sind. Auf den beiden Tafeln, die zuerst ins Blickfeld fallen, formieren sich die Nägel, wie von einem Magnetfeld angezogen, auf der in Weiß und Braun bemalten Leinwand zu einem Motiv: Es ist ein Kreuz.

Was wie eine protestantisch dekorierte Waschküche wirkt, ist der vom Bildhauer Georg Uecker gestaltete überkonfessionelle Andachtsraum in der ersten Etage des Reichstags. Er funktioniert nach dem Do-it-Yourself-Prinzip: Mit wenigen Handgriffen lässt er sich zu einer christlichen Kapelle umfunktionieren. Versteckt hinter einer Wand, steht neben dem Fenster ein gusseiserner Kerzenhalter, auch ein hölzernes Stehpult für Predigten und eine Orgel auf Rollen harren auf ihren Einsatz. Im Eingang lagern in einer Vitrine ein großes silbernes Kreuz und ein kleines Holz-Kruzifix. Stellt man es auf den Granitblock, hat man einen Altar. Im Hintergrund steht überdies ein Weihwasserbecken aus Stein.

Sein Vorbild hat der multifunktionale Andachtsraum des Parlaments in jenen Gebetsräumen, wie man sie etwa in internationalen Flughäfen findet. Diese werden dort vorwiegend von Muslimen genutzt, die ihren Gebetsteppich gen Mekka ausrollen. Im Bundestag hat der Anspruch, allen Weltreligionen gerecht zu werden, dagegen etwas sehr Bemühtes – eine dezente Anzeige, die Richtung Mekka deutet, und eine nach dem Vorbild der Klagemauer in Jerusalem stilisierte Wand haben allenfalls symbolischen Wert, schließlich sitzen im Bundestag weder praktizierende Muslime noch auch nur ein Abgeordneter jüdischen Glaubens. Das kann sich zwar in Zukunft noch ändern – aber selbst die Jüdische Wochenzeitung lästerte, die Anleihe bei der Klagemauer sei „ein bisschen zu viel des Guten“. „Eine Menora [der siebenarmige Leuchter, d. Red.] oder eine Nachbildung der Gesetzestafeln hätte völlig ausgereicht.“

Die Gegner des offenen Raumkonzepts dagegen sahen die Republik schon ihrer geistig-moralischen Grundlagen beraubt – vor allem die CSU opponierte gegen das mobile Kreuz, sie hätte das Kruzifix lieber fixiert gesehen. Tatsächlich reflektiert der Andachtsraum aber das Selbstverständnis eines Gesetzgebers, der sich zwar religionsneutral geben möchte, die Trennung von Staat und Religion jedoch nicht konsequent durchzuhalten vermag: Wäre der Glauben der Abgeordneten wirklich Privatsache, gäbe es schließlich auch keine Notwendigkeit für einen offiziellen Andachtsraum.

Nachdem aber die CSU mit ihren grundsätzlichen Einwänden auf dem Instanzenweg gescheitert ist, probieren es einige Abgeordnete nun mit zivilem Ungehorsam: Sie lassen das Kreuz einfach auf dem Altarblock stehen, wenn sie den Raum verlassen. DANIEL BAX

An diesem Ort erscheinen in unregelmäßigen Abständen Beobachtungen aus dem Reichstag

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