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Archiv-Artikel

bananen mit zweierlei maß von RALF SOTSCHECK

Der Engländer misst gerne mit zweierlei Maß. Großbritannien sei „ein Land, wo die Menschen Meilen fahren, aber Meter rennen“, merkte der Observer selbstironisch an, „wo das Bier in Pints, das Wasser aber in Litern gesoffen wird“.

Damit soll es nun vorbei sein. Der Europäischen Kommission, so hat das Blatt herausgefunden, ist der Kragen geplatzt. Sie hat die Londoner Regierung ermahnt, endlich ein nicht allzu weit entferntes Datum festzulegen, an dem Pints und Meilen in die Geschichte verbannt werden. Das hat bei Englands Trinkern – also praktisch bei der gesamten Nation – Wutgeheul ausgelöst.

Das war bei jedem Schritt der Metrifizierung so. Das „imperiale Pfund“, das 453 Gramm schwer ist, darf seit fast sechs Jahren nicht mehr benutzt werden. Auch damals gab es einen Aufschrei. Bei einer Umfrage erklärten 72 Prozent, dass sie die alten Maße beibehalten wollten. Der Gemüsehändler Steven Thoburn zog damals mit einem Bündel Bananen vor Gericht, weil er durchsetzen wollte, dass er sie weiterhin in Pfund und Unzen verkaufen durfte. Die „imperiale Lobby“ feierte ihn zunächst als Helden. Nach seiner kostspieligen Niederlage ernannte ihn der „Verband für britische Maße und Gewichte“, eine zutiefst konservative Organisation, die das metrische System als „politische Philosophie“ abtut, zum „metrischen Märtyrer“. Prominentestes Mitglied dieses Verbandes ist J. K. Rowling, die Mutter von Harry Potter.

Richter Bruce Morgan ernannte Thoburns Obststaude zum „vermutlich berühmtesten Bananenbündel in der englischen Rechtsgeschichte“, wies die Klage jedoch ab: Als der damalige Premierminister Edward Heath 1972 den Europäischen Vertrag unterzeichnete, habe er den Untergang des imperialen Maßsystems eingeleitet. Zunächst geschah allerdings nichts, denn als Margaret Thatcher an die Macht kam, ernannte sie sich sogleich zur antimetrischen Vorkämpferin, was die Europäische Union dazu veranlasste, den Briten eine Direktive vor den Latz zu knallen. Thatcher blieb diese Schmach erspart, weil ihre eigene Partei sie rechtzeitig abgesägt hatte und ihr Nachfolger John Major 1994 die Direktive unterzeichnen musste.

Eigentlich war der Weg jedoch bereits seit fast 150 Jahren vorgegeben: 1864 legte das „Gesetz für Maße und Gewichte“ fest, dass die Briten nach Lust und Laune imperiale oder metrische Maßeinheiten verwenden dürfen. Doch schon damals kam den Briten die Metrik nicht geheuer vor, sodass es bei Meile, Zoll, Unze und Pint blieb. Und das Pint wird weiterhin bestehen bleiben, denn die EU schreibt ja nicht vor, in welchen Mengen die Getränke ausgeschenkt werden – auch wenn die britische Boulevardpresse so tut, als wenn EU-Beamte künftig die Pubs überwachen und jeden Gast verhaften werden, der ein Pint bestellt.

Bananen werden demnächst allerdings in Kilogramm gewogen. Meistens kauft man sie aber ohnehin pro Stück. Oder musste schon mal jemand eine Viertelbanane kaufen, um das Gewicht auf ein Kilo aufzurunden? Steven Thoburn wird das alles nicht mehr erleben. Er ist Anfang des Jahres im Alter von nur 39 Jahren aus Gram gestorben und ruht nun zehn Fuß unter der Erde. Beziehungsweise drei Meter.