aust, uslar, raf etc.: Der Nüchterne als Archäologe
Moritz von Uslar spricht mit Stefan Aust über die RAF, den Film, Dichtung und Wahrheit.
Der kleine Saal in Hamburg ist voll. Kein Wunder. Gastgeber Moritz von Uslar hat zum sechsten Abend der Reihe "Keine Diskussion" im Hamburger Fleetstreet-Theater "Baader-Meinhof-Komplex"-Autor Stefan Aust eingeladen. Die kleine Pikanterie, dass seit diesem Monat auch von Uslar ein Ex-Spiegel-Mann ist, hat zusätzlich Zuschauer angelockt.
Die Herren betreten betont salopp die Bühne, entledigen sich ihrer Jacken und kommen vor der riesigen Projektion des berühmten Fotos vom Attentat auf den Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen zu sitzen. Und los gehts. "Das fertigste aller Themen", die RAF, will Uslar besprechen.
Da ist er, der 100-Fragen-Steller der Süddeutschen von früher, auch wenn diese Gespräche im Fleetstreet-Theater bewusst als Gegenmodell zum Hetztempo von Print und Fernsehen konzipiert sind. Aber an Aust - nicht gerade ein spritziger Gesprächspartner - prallt Uslars Andeutung, das Thema sei doch eigentlich durch, einfach ab. Schon verzettelt man sich in zwischen "Ich weiß nicht" und "vielleicht". Und dann will Uslar ihn auch noch abwatschen für den Bob-Dylan-Song am Ende von Bernd Eichingers "Der Baader-Meinhof-Komplex". Austs Werk war die Vorlage für das Drehbuch des Films. "Haben Sie sich da geschämt?", will Uslar wissen.
Doch Aust bleibt zurückgelehnt. Nichts an dem Film sei ihm peinlich. Er fände vielmehr toll, wie "genau" Regisseur Uli Edel verfahren sei. Die marktschreierisch annoncierten "Hammerfragen" Uslars, die Vorurteile aus der extremen Linken oder die Behauptung, er halte die RAF-Geschichte in Geiselhaft, pariert Aust, der zähe Rechercheur, sehr souverän. Auch habe er niemanden davon abgehalten, es anders aufzuschreiben.
Ob man mit ein bisschen mehr Dichtung der Wahrheit nicht näher komme, will Gastgeber Uslar zum Film wissen. Da flackert die Kontroverse kurzauf. Von Uslar schrieb das Drehbuch zum recht fiktiven "Baader"-Film. Pech, dass Aust nicht darauf anspringt. Uslar hingegen will seinen Fragekatalog durchbringen und schenkt sich das Nachhaken, auch wenns interessant wäre, wie bei den neuen Dokumenten, die Aust jetzt zu Stammheim aufgetrieben haben will.
Die Stilfragen müssen schließlich noch geklärt werden. Bei der zu Austs Hemden kommt Heiterkeit im Saal auf. Und: Der Verlautbarungsstil der RAF, kein gutes Deutsch? "Kein gutes Denken", kontert Aust. Diese beiden werden nicht mehr zusammenkommen.
Unverständnis auch, als sich von Uslar mit seiner Whiskeystimme erkundigt, ob Aust "die Beschäftigung mit der Geschichte der RAF nicht manchmal hundetraurig" mache? Er hätte so gerne in Aust den seelenverwandten Teilzeitmelancholiker herausgekitzelt. Doch der, der Nüchterne, versteht sich als "Archäologe".
CHRISTIANE MÜLLER-LOBECK
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