„ausländer raus“, tumulte, wien etc.: Schlingensiefs Container gestürmt
Ist das jetzt echt?
Die ganze Welt weiß mittlerweile: Fast jeder Mensch in und um Wien hat irgendein Problem mit Schlingensiefs Container (siehe taz vom 14. 6.). Nicht unwesentlich ist beispielsweise das Zeitproblem: Man kann naturgemäß nicht immer vor Ort sein, also herrscht permanent Informationsnotstand. Am Donnerstagabend zum Beispiel roch es um den Container, als hätten sich alle Anwesenden übergeben. Lautstark wurde über die Frage diskutiert, ob Christoph Schlingensief tatsächlich eine Boutique mit einem „Terrorüberfall“ beglückt habe. Der Gestank kam daher, dass missgünstige Passanten Buttersäurebomben ins Asylantengelände geworfen hatten. Und der „Terrorüberfall“ ist angeblich eine Erfindung des Boutiquen-Besitzers. Schlingensief: „Ich würde bei dem doch nie einkaufen gehen.“
Kurz vor der allabendlichen Ausländer-Abschiebung gibt sich der Regisseur aber doch etwas vergrätzt: „Die Situation hier wird zunehmend prekär. Dies hier ist kein Kunstwerk mehr. Es ist absolute Realität. Vielleicht beenden wir das Ganze hier in Bälde. Warum macht eigentlich keiner das Schild ab?“ – AUSLÄNDER RAUS! – „Die Koalition soll endlich dieses Schild abmontieren!“
Nun, irgendwo, weit hinten auf der für die obligate Donnerstags-Widerstandsdemo gesperrten Ringstraße, kommen offenbar Leute, die der Koalition diese Aufgabe abnehmen wollen. Während Schlingensief noch Lebensläufe der diesmal abgeschobenen Asylanten (aus Nigeria und China) verliest, nähern sich (angeblich 600) Demonstranten dem Container. Rote Gewerkschaftsfahnen werden geschwungen, junge Männer und Frauen beginnen, wie rasend an den Sicherheitsumzäunungen zu rütteln. In halsbrecherischen Kletteraktionen stürmen sie das Containerdach, wo sich das Sperrholzschild jedoch als widerstandsfähig erweist.
Tritte, Schläge, heftiges Reißen an den Verstrebungen. Vergeblich. Unten im Publikum zunehmende Ratlosigkeit. „Ist das jetzt echt?“ Gute Frage. Dazu plötzlich, quasi als Soundtrack zum Cinemascope-Widerstandsfilm unter prachtvoll bewölktem Abendhimmel: laute Percussionmusik aus dem Container. Tritte. Rufe: „Befreit die Asylanten!“ Schlingensief, zu den Widerstands-Kämpfern, in aller Anspannung seltsam ruhig: „Versucht es doch bei den Schrauben! Ihr müsst das Schild abschrauben!“ Aber die Demonstranten treten weiter. Schließlich sprayen sie Parolen auf das Schild. Und so sieht es jetzt auch aus: Schrundig, kaputt. Aber es ist immer noch da. AUSLÄNDER RAUS!
Und jetzt wieder das Zeitproblem. Wer jetzt zum Beispiel als Journalist noch in die Zeitung zurückrast, um den „neuesten Stand“ zu berichten, der erfährt erst später, dass die Asylanten befreit wurden. Er liest in Agenturmeldungen, dass Demonstranten auch eine Tagung der Nationalbank gestürmt haben, bei der Bundeskanzler Schüssel und Finanzminister Karl-Heinz Grasser sprechen wollten. Schüssels Vortrag musste abgesagt werden. Und später, am nächsten Tag, liest er dann auch noch in der bürgerlich-konservativen Presse, dass die Container-Aktion „vorläufig zu Ende gegangen“ sei.
Aber das ist gar nicht wahr. Am Freitagmorgen sind alle wieder da. Die Asylanten im Container. Die Passanten und Querulanten vor dem Container. Schlingensief auf dem Container, mit Megafon. „Das ist jetzt absolute Realität!“
CLAUS PHILIPP
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