ausgehen und rumstehen : Das wird böse enden: Filmbilder nachstellen und Berlinpartys feiern in Paris
Die mir liebgewonnenen Menschen quälten sich: niedergerafft von Mandel- und Blasenentzündungen. Sie erzählten von rosa glänzenden Antibiotika-Pillen und lustigen, kleinen Strichmännchen, die auf ihren Bettdecken tanzten. Alle krank und unlustig. Doch dann graute es auch mir eines Morgens: leichte Schluckbeschwerden, Kratzen im Hals. Erste Anzeichen eines Krankheitszustandes bei mir. Von nun an sollte ich mich also ewig nicht der Gesellschaft zeigen, meine Laune nach dem Wetter richten? Sollte es ertragen, wie sich die Zeit in die Länge zog vor lauter Schwere und Schneeregen? Es galt, sich auf Biegen und Brechen der Krankheit zu verweigern. Es war Zeit, davonzulaufen. Raus aus dem bleiernen Berlin.
Ich entschied also, zu Freundinnen nach Paris zu fahren. Ich sah uns in der bleichen Sonne am Fluss diverse Flaschengetränke köpfen. Ich sah uns hübsche Menschen in Schwarzweiß und in Jump Cuts und geringelten Pullovern beobachten. Ich sah die Stadtlichter flirren. So stellte ich mir das vor.
Es sah dann doch etwas anders aus. Ich kam mir speckig und müffelnd vor in Paris zwischen all den anmutig gekleideten Passanten, die mit jeder Geste Höflichkeit und Unaufdringlichkeit ausstrahlten. Ich wurde furchtbar krank. Nachmittags lehnte ich gekrümmt an der Hitze bullernden Heizung und die Freundinnen kochten Milchreis. Trotzdem gab ich es noch nicht auf, meine Filmbilder von Paris einzulösen. Ich war ja gekommen, um der Bettlägerigkeit davonzulaufen. So irrten wir durch die Straßen, und wenn wir nicht mehr weiter wussten, tranken wir Kaffee und aßen feine, kleine Kuchen. Mussten wir mit der Metro fahren, sprangen wir über die Absperrungen. Nicht, weil wir uns das Ticket nicht leisten wollten, sondern weil es in Filmen gut aussieht, wenn junge Menschen über die Absperrung springen. In meinem Kopf dazu der Satz: „Das wird böse enden“, wie das Werner Enke in seinem Film „Zur Sache, Schätzchen“ ausdrückt. Wir mussten unbedingt Dreistigkeit und Draufgängertum zeigen. Wenn schon nicht in tollkühnen und waghalsigen Taten, so doch wenigstens vom Gefühl her.
Am Abend gerieten wir dann in eine sehr schicke Bar mit wohldurchdachter Innenarchitektur. Die Rosenverkäufer wurden freundlich der Tür verwiesen. Im gekachelten Kellerraum pflegten hübsche, junge Franzosen eine seltsame „Deutschness“. Das heißt, die Musik klang wie White Trash mit viel Wodka. Halbelektronisches Geschrammel von Menschen, die Parolenartiges schreien, ganz atemlos. Die wirklich großartige und vertraut erscheinende Veranstaltung hieß „Music ist …“. Ich stellte einmal mehr fest: Je weiter weg man sich von Berlin bewegt, desto berliniger wird es. Desto mehr verwandelt sich Berlin zu einem dekadenten Bild einer aufgeregten Stadt. Hat im Übrigen mal jemand überprüft, ob im Lonely Planet schon empfohlen wird, das Rio und die 8mm-Bar zu besuchen? Nun gut, schließlich hatte ich es in Paris auch nicht anders gewollt und mir alte Filme vorgegaukelt. Vielleicht sind Bilder wie diese ja sogar die Wirklichkeit. JANE FRÄNZEL