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Archiv-Artikel

ausgehen und rumstehen Atmosphären voller Wärme und Gefahr

Eigentlich habe ich nichts gegen Erkältungsgrippe. Als Kind war ich immer zu Weihnachten krank, mindestens vier- oder fünfmal in Folge. Und damals war Weihnachten ja noch nicht die goldene Lupe, unter die man einmal im Jahr die eigene Enttäuschung und die allgemeine Zerrüttung hält, sondern ein wunderbarer Höhepunkt voller Hoffnung und Geschenke. In dieser Zeit hat sich die feierliche Vorfreude pawlowsch mit dem Gefühl aufkeimender Krankheit verknüpft, sodass ich mir heute noch immer beim ersten Halskratzen denke: „Super, bald gibt’s den Rasenden Falken!“

Aber diesmal habe ich welche von diesen modernen Superviren bekommen, die einen auf Wochen hin vernichten und gegen die nicht mal Tabletten helfen. Das kommt, weil einige Leute ihre Antibiotika nicht richtig zu Ende nehmen und so resistente Erreger züchten. Wahrscheinlich sind das arabische Selbstmordterroristen oder so. In „Lawrence von Arabien“ sagt ja auch jemand zu Lawrence: „Die Wüste hat mehr Blut aufgesogen, als du dir vorstellen kannst“, und wenn man Wüste durch Bett und Blut durch Schweiß vertauscht, dann weiß man, wie’s bei mir einfach mal aussah in letzter Zeit. Aber jetzt geht es ja wieder, und ein Geschenk gab es auch noch, nämlich Freitag in einem verwunschenen Club in einem Hinterhof unweit des Helmholtzplatzes.

Justine Elektra trat dort auf, und ich will der absehbaren Furore, die ihre im März auf City-Slang erscheinende Platte machen wird, nicht den Wind aus den Segeln nehmen, indem ich alles verrate. Aber so viel schon: Der durchgedrehten Souveränität ihrer Bühnenpräsenz, dem irrlichternden Charme ihrer Lieder, deren Atmosphären voller Wärme und Gefahr, und den Melodien, die wie aus Träumen vertraut scheinen und doch so unberechenbar wie eben jene sind – all dem ähnelt nichts, was ich kenne. Nach ihrem Gig mussten wir zu „We Are Scientists“ ins Rosis.

Die Innenarchitektur dort erinnerte an die von „Ilses Erika“ in Leipzig, wo mal nach einem Konzert jemand zu mir kam und sagte: „Hey, du bist doch Jens Fröhlich, oder, du hast doch grad gespielt. Ich fand’s scheiße, weil ich hab gar nichts gesehen wegen der Wand da …“ So ging es uns auch, aber wir hatten ja den Merch-Stand, wo man sich das Cover, auf dem die drei Musiker der Band sich Katzen vors Gesicht halten, ansehen konnte. Niedlich! Auch für Feinde des vermuckten Gitarrenwave-Revivals.

Auch schon wieder zwei Tage her. Kommt mir vor, als wäre es gestern gewesen. Ach, und Texte zur Kunst gibt es auch schon wieder 15 Jahre! Na, dann mal hin zur Feier mit Vorträgen. Als ich reinkomme, brüllt schon ein Mann, es sei zu leise hinten. Ätzend! Ein Hauptgrund, nicht zu Ende zu studieren. „Lauter“-Brüller, das sind die Fahrradfahrer der Innenräume. Der angebrüllte Diedrich Diederichsen berichtete Tröstliches von Fluxus-Künstlern und anderen, die sich auf Adornos Materialbegriff bezogen hätten, allerdings, wie Diederichsen immer wieder betont, unbewusst.

Tröstlich finde ich das, weil ich mir denke, vielleicht mache ich auch oft sehr schlaue Sachen und weiß es nur nicht. Ich denke, ich würde nur besoffen nach Hause torkeln, aber in echt steht dahinter Walter Benjamins … na ja, das weiß ich ja eben nicht. Ganz bewusst gehe ich jedenfalls vor dem Programmpunkt „Party“, denn wie schreibt Diederichsen über einen mit dem hier anwesenden vergleichbaren Konsumentenkreis: „Bei einem Neue-Musik-Konzert darf es einen nicht mehr stören, dass die Leute scheiße angezogen sind und blöde Witze machen.“ Kein Problem – solang ich nichts davon mitkriege. JENS FRIEBE