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Archiv-Artikel

ausgehen und rumstehen Ein Fest verpasst, zwei Feste gefunden und jede Menge Pilze

Das Leben könnte ein Festival sein, man muss nur wollen. Ich wollte offensichtlich nicht, fiel doch mein von langer Hand geplanter Besuch des Club Transmediale am Freitag unvorhergesehenen Ereignissen zum Opfer. Dabei hätte man dort sicher sehr viel über die Renaissance des französischen Clubsounds lernen können. Und endlich mal die tolle Uffie gesehen, ein 20-jähriges Mädchen aus Miami, das mittlerweile in Paris mit expliziten Texten und einer höllischen Mischung aus Grime, Miami Bass, Hiphop und Elektro jede Tanzfläche zum Durchdrehen bringt.

Stattdessen musste ich mich mit Erinnerungen an eine Mitte-Party aus der Vorwoche trösten, die beim Betreten der Räumlichkeiten um drei Uhr morgens so abgerissen aussah, als sei der Bagger für den Tag danach schon bestellt. Zwischen Bergen fallen gelassener Flaschen, zerborstenen Fensterscheiben und apokalyptischen Toilettenszenarien konnte man eine Zeitreise in einen der vielen Summer of Love der frühen Neunzigerjahre antreten. „Rave“ darf so was neuerdings wieder heißen, und passenderweise hatte das aus London angereiste DJ-Team einen Koffer voller Klassiker dabei: Zu „Pump Up The Jam“ von Technotronic und Deee-Lite’s „Groove Is In The Heart“ reckten die Menschen in glücklicher Erinnerung nicht nur ihre Arme in die Luft, sie schrien, küssten und vereinigten sich auch, als hätte Kokain nie über MDMA gesiegt.

Ausgeschlafen, denn das Ausgehen war ja nur geträumt, ließ ich mich am Samstag zur Autogrammstunde von Alt-Kommunardin und Supergroupie Uschi Obermaier ins KaDeWe mitnehmen. Aus Interesse und zwecks kollektiver Selbstberuhigung, dass das gute Leben nicht zwangsläufig zu vorzeitiger Haut- und sonstiger Alterung führen muss. Und tatsächlich: „die Uschi“ sieht mit 60 so frisch und fröhlich aus wie einer der kalifornischen Pfirsiche, die sicher irgendwo in der Nähe ihres Hauses wachsen. Ein wenig Spliss vielleicht, aber so wunderschön sehnige Arme. „Und was für tolle Haut die Alte hat“, sagt Freundin S., „aber die Zähne sind gemacht.“

Während die Freundinnen sich in der Beauty-Etage auf die Suche nach Uschis Hautcreme machten, musste ich weiter, zu einer Party, bei der weder Licht noch Anlage funktionierten. Gut, trotzdem da gewesen zu sein, denn die Getränke waren billig und die Hinfahrt ein Abenteuer: „Können Sie mir bitte zunächst den Weg zum Alex beschreiben“, sagte der Fahrer, dessen Taxi ich am Oranienplatz mit Fahrtwunsch zum Helmholtzplatz bestieg. „Dann sagen Sie mir, wie’s weitergeht. Ich kann mir das nicht alles merken, ich muss mich auf den Verkehr konzentrieren“, erklärte der ältere Herr.

Erst mit dem Besuch des 100 Grad Berlin Festivals, dem viertägigen „Marathon-Festival des Freien Theaters“, bei dem per Shuttlebus zwischen den Bühnen des HAU, den Sophiensælen und dem Theaterdiscounter in Mitte hin- und hergehoppt werden konnte, wurde schließlich doch noch was aus den Festival-Plänen. Vor dem Eingang zur Probebühne des HAU 3 balgten sich am Sonntagabend viele Kulturinteressierte mit und ohne Kinder um die Plätze für das Stück „Alte Pilze“ der jungen Regisseurin Katrin Hylla. Das Ensemble in Gestalt von Schleimkopf, Wulstling oder Perigordtrüffel zeigte, wie nah sich Pilz und Mensch sind: Pilze, die alten, unterirdisch verzweigten Schmarotzer, sie können schillernd schön und verführerisch sein oder von abstoßender Hässlichkeit, sie können gut schmecken und gleichzeitig töten. Das im Hintergrund vor sich hin köchelnde Pilzgulasch wurde in der überfüllten Festivalkantine auf der anderen Seite des Tempelhofer Ufers sicherheitshalber in Fleischgestalt serviert. LORRAINE HAIST