ausgehen und rumstehen : Jonathan Meese für die ganze Familie
Zu Ostern sollte es um Ostern gehen. Drei Tage dauerte die große „Osterei“, die Jonathan Meese veranstaltete, beziehungsweise die um ihn herum veranstaltet wurde. Es gab die Bühnenbilder, die er für Castorfs „Kokain“- und „Meistersinger“-Inszenierungen hergestellt hatte, es gab Meese-Filme, ein Gespräch mit dem Tip-Theaterredakteur Peter Laudenbach, eine Buchpräsentation sowie Meeses erste Theaterproduktion „De Frau“.
Sonntag tagsüber war sozusagen ein entspanntes Zwischenspiel für die ganze Familie. Gegen Mittag war noch nicht allzu viel los. Man stand in der Gegend eines kleinen orangefarbenen Zelts herum, das rechts neben der Volksbühne aufgebaut war. Alles wirkte recht familiär: Es gab Eier geschenkt, vor dem Zelt brutzelte ein Lamm, und im Zelt schenkte ein Mann, der sagte, er käme aus Weimar, Jonathan Meese ein Buch und einen tschechischen Offiziersmantel, den der gut gelaunte Kunstrevolutionskünstler fortan meist trug. Mehrere Frauen hatten sich Häschenohren aufgesetzt. Andere fotografierten, und am Rande gab Castorf ein Interview. Jonathan Meese wünschte „Guten Appetit!“ und trank Rotwein „Auf das unschuldige Osterlamm!“ Eine Anspielung darauf, dass Jesus Christus, an dessen Tod und Auferstehung das wichtigste christliche Fest erinnert, häufig „Lamm“, bzw. „Lamm Gottes“ genannt wird. „Denn du wurdest geschlachtet und hast mit deinem Blut Menschen für Gott erworben“, heißt es in der Offenbarung des Johannes, und das Lamm erscheint am Ende der Zeit und öffnet die Schriftrolle mit den sieben Siegeln.
So aß man vom Lämmlein und schlenderte zwischendurch ins „Haus“. Auf der von Meese schon für den Abend fachmännisch gestalteten Bühne, die sich drehte, hatten sich viele Eltern mit ihren Kindern niedergelassen und fuhren Karussell. Dazu gab es schwungvolle Musik, die irgendwann (bei „Sweet“, „Rammstein“ und „Udo Jürgens“) ohrenbetäubend laut wurde. Castorf und Meese tanzten zu dieser Musique-maudite in der Mitte der Zuschauerränge. Da schienen sich zwei gefunden zu haben. Draußen, in der Meese-Ecke, sein schöner Satz: „Wir sind doch Staatspimmel – ihr Lumpis aus Sahne.“
Dann gab es Märchen. Sophie Rois las mit einer leicht rabiaten Stimme vor allem Grimm’sche Märchen, die wie „Frau Trude“ von Menschenopfern handelten. Meese las mit lustiger Stimme im Osterhasenkostüm russische Märchen oder optimistische Sachen wie „Sterntaler“. Beim Zuhören hatten die Erwachsenen so ein abwehrendes Grinsen im Gesicht. Ein Liedermacher sang noch was, und Gabriele Gysi – die ältere Schwester des Politikers – beendete den Nachmittag mit einem langen, sozialistisch-optimistisch-didaktischem Märchen von Friedrich Wolff, in denen die Häschen „Purzel“ oder „Weißfell“ hießen. Schön an Ostern war noch, wie die Stadt irgendwie in so eine tiefe Stille zu versinken schien. DETLEF KUHLBRODT