ausgehen & rumstehen : Tanzen mit deutschen Bachstelzen
Der Hype um deutschtümelnde DJ- oder Labelnamen nimmt in der Electroszene gerade überhand. Und so wundere ich mich auch nicht, als mir der Barkeeper des vor einigen Wochen neu eröffneten Dot.Clubs „Großmeister Blitz“ als heutigen Hauptact präsentiert.
Gerade eben noch saß man gemütlich im Restaurantbereich in der ersten Etage, die U-Bahn fuhr alle sechs Minuten auf Augenhöhe über die Oberbaumbrücke, und auch der smoggetränkte Sonnenuntergang machte so einiges her. Man erfreute sich an dem Ausblick, der neu entdeckten Location und der guten Küche. Doch nun ist es vorbei mit der Ruhe, Menschenmassen strömen in das Gebäude. „Großmeister Blitz“ entpuppt sich als Grandmaster Flash, dem zumindest offiziellen Erfinder des HipHops oder wahlweise des Turntablism, und ähnlich wie bis heute behauptet wird, die Fantastischen Vier haben den deutschen Sprechgesang erfunden, glaubt auch das eher modenschaulastige Publikum, den ersten HipHopper aller Zeiten bestaunen zu können. Sein Potpourrie aus alten Rap-Klassikern und ein wenig Blur/Nirvana/Franz Ferdinand versprüht den Charme einer Kesselhausparty mit DJ Henning, die Menge scheint es nicht zu stören, und mir ist so langweilig, dass ich die stolz ausgestellte Autogrammkarte von „Gute Zeiten Schlechte Zeiten“-Bösewicht Joe Gerner entwende. Neben mir hatte sich jemand informiert, auch er wusste seinem Kollegen zu berichten dass die ganze „erster HipHopper“-Nummer ein Riesenbluff war. „Wer hat denn HipHop dann erfunden?“, fragt sein Kumpel. „Na, irgendwelche andern Schwarzen, die an brennenden Tonnen standen!“, lautet die ernüchternde Antwort.
Nach dem Konzert bittet ein spanisches Kamerateam den „Großmeister“ noch um ein Interview. Der Künstler lehnt ab, verbittet es sich auch gefilmt zu werden und hält trotzdem einen vierzigminütigen Monolog über die Ursprünge des HipHops. Er scheint mit seinem Auftritt zufrieden zu sein, das Publikum auch, und so wäre ich fast der Einzige geblieben, der hier was zu meckern hatte, wenn ich nicht noch den äußerst schlecht gelaunten Gangstarapper DesoDogg in der Menge erkannt hätte.
Wenn es am schönsten ist, soll man gehen, aber auf diesen Moment wollte ich nicht mehr warten und ging früher. Immerhin stand für den nächsten Abend mal wieder eine „Bachstelzen“-Party an (so viel zum Thema deutschtümelnde Labelnamen), wo, das wusste keiner, aber alle waren ganz heiß drauf. Die Arbeit verlangte nach mir, jetzt sollte ich anderen beim Feiern zusehen, ihnen sogar noch behilflich bei der Alkoholaufnahme sein und selbst nüchtern bleiben. Und obwohl es schlimmere Jobs als den des Barkeepers gibt, sah ich die Stunden davonfliegen und damit auch meine Chancen, die „Bachstelzen“-Party noch rechtzeitig zu erreichen.
Müde und ausgelaugt saß ich morgens um sechs hinterm Tresen und beobachtete die langsam nach Hause kriechenden Gäste. Ein Mann und eine Frau betraten den Laden und bestellten zwei Hefeweizen. Der Mann stand wieder auf und ging auf Toilette, die junge Frau fragte nach dem Kondomautomaten. Ich musste sie enttäuschen, versprach ihr allerdings im Privatarchiv zu forschen. Nach wenigen Minuten fand ich tatsächlich noch eines und brachte es ihr. Der Mann saß inzwischen wieder neben ihr und verschluckte sich beinahe an seinem Hefe, als es zur Übergabe kam. Es war mehr als offensichtlich, dass er noch nichts von seinem Glück wusste, während sie etwas peinlich berührt ein „Danke!“ zwischen den Zähnen hervorpresste. Kurzes Schweigen. „Weißte was“, sagte sie schließlich, „dann könn wa uns dit Bier auch sparen und gleich nach Hause gehen!“
JURI STERNBURG