auf augenhöhe: KIRSTEN KÜPPERS über besoffene Flughunde
BEAS UND DER SPORTPALASTWALZER
Auch so ein Lebensmodell. Jeden Tag im warmen Dschungel arbeiten. Erst zupfte Günter Hoof realsozialistische, dann kapitalistische Orchideen. 45 Jahre lang tat er dies im Ostberliner Tierpark Friedrichsfelde. Für feuchtes Dschungelklima am Arbeitsplatz von Hoof, der Tropenhalle, sorgte die tägliche so genannte Beregnung um 13.00 Uhr.
Erst seit der Wende gibt es dort auch Beos, erzählt der 62-jährige Blumenfreund. Die Leute liefern diese Vögel ab, weil die zu Hause die Couchgarnitur beschmieren und sie mit ihren Imitierfähigkeiten nervös machen.
Jetzt gibt es dafür in der Tropenhalle Telefonläuten unter Palmen. Ein Beo kann den Sportpalastwalzer pfeifen. Mittlerweile hat sich eine Art Tauschsystem etabliert. Oft klauen Besucher die zahmen öffentlichen Beos, während die privaten Schildkröten mit Start der Urlaubsaison im Sommer oder Winter von zu Hause in den Tropenteich geschmuggelt werden.
Ein Problem war der Dachausbau der Tropenhalle vor 17 Jahren. Wegen der fledermausähnlichen Flughunde. Kurz entschlossen ging die Vogelpflegerin in die Kaufhalle gegenüber und erwarb eine Flasche Wodka. Deren Inhalt wurde ihnen unters Futter gemischt. Mit Erfolg: DieTiere fielen besoffen von den Bäumen. Man konnte sie einsammeln und anschließend gefahrlos das Glasdach bauen.
Als Futter für die Vögel sind Südfrüchte auf die Büsche aufgepiekst. Zu Ostzeiten weckte das den Neid der Besucher. Damit Angestellte und Besucher angesichts der im Alltag kaum zu habenden Früchte nicht alles leerklauten, wanderten nur halbierte und somit unberechenbar keimige Bananen aus der Futterküche.
Seit 89 weckt diese Futterküche auch keine Interessenten für Einmachobst. Dafür gibt es jetzt genug neue Frischware auf dem Markt, zum Beispiel Kiwis.
Früher seien häufig Reisegruppen aus den sozialistischen Bruderstaaten zu Besuch gekommen, erinnert sich Hoof. Toll seien die Frauen aus Kiew gewesen. Das sei ein richtiges Erlebnis jedes Mal gewesen. Die hätten ihn vor Freude über den schönen Palmengarten geküsst und Orden oder Abzeichen oder noch andere Dinge zur Erinnerung dagelassen.
Immer noch sparen sich viele osteuropäische Frauen ein Stündchen ihres Shoppingtages in Berlin für den Tierpark auf. Sie kommen mit vollgepackten Einkaufstaschen, bevor sie wieder in ihre Busse gen Polen steigen.
Eine Rentnerin mit toupierten Haaren, die jeden Tag hier ist, packt eine mitgebrachte Stulle aus. Aber nicht für sich selbst, sondern für Matibi. Die kleine Elefantendame Matibi habe Geburtstag, sagt sie. Deshalb solle man dort Fotos schießen. „Die haben Seltenheitswert.“
Draußen ist es sehr kalt. An einer Plakatsäule werben Poster für die Zoos im tschechischen Plzeň und im kubanischen Havanna. Die Elefanten werden mit ausrangierten Tannenbäumen gefüttert. Vor einem Käfig singen ein Opa und ein Enkel: „Die Eule, die Eule, nimmt Abschied mit Geheule“.
Die Flamingos dürften die winterlichen Temperaturen nicht gewöhnt sein, knicken ihre Knie dennoch fröhlich nach vorne um. Dabei füttere man sie in Deutschland nur mit roten Paprika, erregt sich ein junger Besucher. Eigentlich mögen Flamingos rosa Flusskrebse. Irgendein Pfennigfuchser hätte indes rausgekriegt, dass rote Paprikas das an sich weiße Flamingo-Gefieder genauso färbten wie die für hiesige Zoos unerschwinglichen Flusskrebse.
Flamingoartig staken auch weiblichen Teenager auf ihren Buffalo-Boots durch den Tierpark und tun das, was alle weiblichen Teenager in Berlin tun: Chips essen und über türkische Jungs quatschen.
An einer Tafel am Ausgang hängen noch die Termine vom letzten Jahr. Im April trafen sich der „Neufundländer und Landser Club“ in der Tierpark-Cafeteria. Im Mai spielte das Polizeiorchester. Unter den „wichtigsten Tierzugängen im Dezember ’99“ wird der Kauf zweier Rohrwürmer vermeldet.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen