arbeitsmarkt : Flexibel bis zur Selbstausbeutung
Die einen nehmen jeden Job an – auch wenn er auf ein paar Monate befristet ist; die anderen machen sich selbst zur Firma, gründen eine so genannte Ich-AG. Immer mehr Berliner und Berlinerinnen gehen – gezwungenermaßen – unbequeme Wege, um auf dem Arbeitsmarkt überhaupt noch den ein oder anderen Euro zu verdienen – und sei es wenigstens eine staatliche Subvention, die hinten und vorn nicht reicht.
KOMMENTAR VON RICHARD ROTHER
Eine Besserung ist nicht in Sicht – auch und schon gar nicht durch Hartz IV. Im Gegenteil: Die vielen Berliner Um-jeden-Preis-Jobber widerlegen die Ideologie der Hartz-Reform, die mehr Jobs durch Druck auf Arbeitslose und mehr Flexibilität der Arbeit Suchenden verspricht. Viele Berliner sind schon flexibel bis zur Selbstausbeutung, aber die Zahl existenzsichernder Jobs sinkt weiter. Wie die Einkommen derjenigen, die – vorübergehend – noch Arbeit haben.
Hartz IV verstärkt diesen Prozess: Um der gnadenlos mahlenden Arbeitsbürokratie zu entkommen, gründen die Betroffenen weitere Ich-AGs, die sich oft kaum rechnen, nehmen immer mehr Mini- und Kurzzeitjobs an. Und fördern so die Umwandlung regulärer in prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Dabei ist Berlin längst bundesweit führend. Geholfen hat das bekanntermaßen nicht.
Helfen kann nur ein bundesweiter Konjunkturaufschwung, dessen Randwellen kräftig nach Berlin überschwappen – und so halbwegs bezahlte Jobs in Stadt und Region bringen. Das Anspringen der Konjunktur kündigen die Wirtschaftswissenschaftler seit Jahren an, es verzögert sich aber immer wieder.
Der Grund: Zwar brummt der Export, aber die Inlandsnachfrage stagniert. Kein Wunder, wenn die Leute erstens weniger Geld und zweitens Angst um ihren Job, ihre Rente oder ihre Gesundheitsversorgung haben. Der Berliner Einzelhandel kann ein Lied davon singen.