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Archiv-Artikel

ananas und freie radikale von Ralf Sotscheck

Wer adrett gekleidet, frisch gefönt und akkurat gescheitelt ist, darf ein bisschen demonstrieren – aber bitte mit einem fröhlichen Lied auf den Lippen. „Mensch“ zum Beispiel. Die ungewaschenen Autonomen hingegen sollen zu Hause bleiben, damit die G-8-Regierungschefs in Ruhe ihre Arbeit zum Wohle des Planeten erledigen können.

Das geht natürlich nicht immer glatt. Während die G-8-Herrscher den Klimawandel bekämpfen, gibt ihre Weltbank Kredite zur Rodung von Wäldern und für Kohlekraftwerke. Während sie den Drittweltländern ein paar Schulden erlassen, sorgt ihr Internationaler Währungsfonds durch Auflagen dafür, dass die Länder aus der Schuldenfalle nicht herauskommen. Und während sie sich für die Gesundheit der Ärmsten dieser Erde einsetzen, sterben auf den Philippinen jährlich tausende Babys, weil die multinationalen Konzerne mit einer aggressiven Kampagne vor Muttermilch warnen, damit sie ihr Milchpulver verhökern können.

Wenn das die G-8-Führer wüssten! Aber sie haben ja die irischen Sänger Bob Geldof und Bono, die ihnen sagen, was sie richtig machen und wo sie sich noch ein bisschen mehr Mühe geben könnten. Doch im Ernst: Als ob es darum ginge, die G-8-Regierungschefs auf den rechten Weg zu führen. Die arme Bullizei musste wieder alles ausbaden. Dabei hatten die Beamten im Vorfeld deeskalierend gewirkt und Hausbesuche bei potenziellen Störenfrieden gemacht. Zum Dank werden sie vermöbelt. Wenn sie in Schottland lebten, hätte sich ihr beherzter Einsatz wenigstens finanziell gelohnt. Die schottische Polizistin Tracey Ormsby verlangt derzeit 1,5 Millionen Pfund Schadenersatz von ihrem Arbeitgeber, weil eine Ananas ihre Karriere beendet hat. Schuld daran sei ihr Einsatzleiter. 2001 wurde die damals 30-Jährige bei einer Demonstration gegen die Schließung eines Schwimmbads in Glasgow eingesetzt. Die Demonstranten seien jedoch Stunde um Stunde aggressiver geworden. Als ein paar Fernsehteams eintrafen, befahl der Oberpolizist seinen Leuten, zu lächeln. „Redet nicht mit den Demonstranten. Lächelt sie an, solange die Kameras auf uns gerichtet sind“, habe er gesagt und den Einsatz von Schlagstöcken oder Tränengas verboten.

Ormsby fürchtete um ihr Leben. Die Kartoffel und das Ei, mit denen sie beworfen wurde, konnte sie gerade noch verkraften. Doch zum Nachtisch kam die Ananas. Sie traf Ormsby am Oberkörper und verursachte solch tiefblaue Flecken, dass die Beamtin wochenlang krankgeschrieben war. Seitdem kann sie nicht mehr richtig schlafen. Immer wieder durchlebt sie die Szene, als die Ananas auf sie zuflog. Dann wacht sie stets schweißgebadet auf. Aufgrund dieses Traumas musste sie schließlich ihren Beruf aufgeben. Bis heute habe sie psychische Probleme mit tropischem Obst, sagte ihr Anwalt beim Prozess, der vorige Woche in Edinburgh begann.

Was kann man daraus lernen? Die Ananas ist reich an Vitamin E, das als Schutz vor freien Radikalen gilt. Wenn sich die freien Radikalen hingegen beim nächsten G-8-Gipfel mit Ananas bewaffnen und die Regierungschefs damit bewerfen, lösen sie bei denen vielleicht ein solches Trauma aus, dass sie ihren Beruf aufgeben müssen.