an der uni lernt man doch fürs leben : Beobachtungen aus dem Raucherzoo
Manchmal gehe ich die Straße entlang, und vor meinem Donnerstags-Vietnamesen stehen Leute mit Zigaretten. Ich beschließe dann jedes Mal, öfter zu meinem Vietnamesen zu gehen, nicht nur donnerstags. Mein Vietnamese ist ein sympathisch ängstlicher Typ. Er entschuldigt sich. Aber zum Rauchen schickt er die Leute raus. Ordnungsamt, sagt er dann nur. Die Leute nicken und erwidern, dass man bei einem Mittagsmenüpreis von 3,50 Euro auch ruhig mal vor die Tür gehen kann mit seinen Zigaretten. Ich rieche also donnerstags nur noch nach Bratfett und nicht mehr nach Fett und Rauch. Das ist gut. Leider ist mein Donnerstags-Vietnamese eine Ausnahme.
Ich hätte es noch vor ein paar Wochen nicht für möglich gehalten, dass Lungenkrebsliebhaber einmal als Widerstandskämpfer gefeiert werden, während Kehlkopfkonservierer wie Ökospaßbremsen dastehen. Aber jetzt scheint in den Zeitungen jeder Kneipier, der sich dem Rauchverbot widersetzt, zum Helden zu werden. Irgendwie ist das auf eine etwas seltsame Art ja entspannt undeutsch, diese Unordnungsliebe. Ich habe trotzdem schon überlegt, ob ich mal mit einem selbst gebastelten Mini-Zigarettenfeuerlöscher in mein Stammcafé gehen sollte, um dort glimmende Spitzen mit Schaum zu besprühen. Wahrscheinlich würde ich gelyncht.
Als ich noch an der Freien Universität studiert habe, mussten wir uns mit einer Theorie beschäftigen, die sich Schweigespirale nannte. Es war eine etwas umstrittene Annahme, aber im Grunde ging es darum, dass alle Leute denken, dass die meisten anderen für eine bestimmte Sache sind, obwohl es gar nicht so ist. Eigentlich sind die meisten dagegen, nur hört man von denen nichts, weil die, die dafür sind, viel mehr Lärm machen. So ungefähr. In dieser Theorie ist von Mehrheitsmeinungen und Minderheitsmeinungen die Rede. Das passt alles ziemlich gut zum Rauchverbotskampf.
Ich habe mal irgendwo gelesen, dass rund ein Viertel der Deutschen regelmäßig raucht. Wenn man sieht, wie im Augenblick jeder, der noch einen eigenen Kehlkopf besitzt, wegen dieses Rauchverbots aufzuschreien scheint, glaubt man aber, es seien eher drei Viertel. Rauchverbot gut finden ist eine gefühlte Minderheitsmeinung.
Neulich saß ich mit Verwandten beim Italiener in Steglitz. Es war ein Italiener mit beheiztem Raucherzelt vor der Tür, sonst wäre Dieter nicht mitgekommen. Dieter ist der Lebensgefährte meiner Tante. Er hat einmal in einer Zigarettenfabrik gearbeitet und bricht die Filter immer ab, bevor er seine Marlboros anzündet. Gewissermaßen zur Begrüßung rief Dieter, dass er sich vom Staat nicht das Rauchen verbieten lässt. Ich musste daran denken, dass früher, wenn Dieter bei meinen Großeltern zu Besuch war, meine Eltern immer die braune Trennwand zwischen Wohnzimmer und Küche zuschoben, um uns Kinder im Schlaf vor seinem Rauch zu schützen.
Ich war regelmäßig böse auf meinen Vater, weil er jedes Mal irgendwann im Laufe des Abends den Vorschlag machte, Dieter könne mit dem Rauchen aufhören. Das sei viel gesünder. Da wurde es meist sehr laut. Ich zog dann entschlossen an meiner Schokoladenzigarette. Ein Zeichen der Solidarität mit Dieter. Ich wollte die Stimmung retten.
An diesem Abend beim Italiener habe ich zunächst freundlich gelächelt. Es war entwürdigend genug, wie die Leute sich mit ihren Zigaretten in dieses Zelt stellen mussten. Es wirkte ein bisschen wie ein Raucherzoo. Aussterbende Spezies. Allerdings saßen wir Dieter zuliebe direkt am Zelteingang, weshalb regelmäßig Schwaden über meiner Suppe vorüberzogen. Dieter rief, dass er allein Verantwortung für seine Gesundheit trage und niemand sonst. Dabei bleckte er seine braungelben Zähne. Ich schluckte und erinnerte mich wieder an diese Schweigespirale. Über meinem Teller kräuselte sich ein bläuliches Wölkchen. Ich musste daran denken, wie seltsam der Hals meines Onkels nach der Tumoroperation ausgesehen hatte. Wie da so ein Stück fehlte.
Als Dieter wieder mit seiner Gesundheit anfing, für die er selbst und niemand sonst verantwortlich sei, räusperte ich mich kurz und sagte dann doch, dass es ja irgendwie auch um meine Gesundheit geht. Stichwort: Passivrauchschäden. Da wurde er sehr laut.
Ein paar Tage später las ich in einer Boulevardzeitung, dass diese radikalextremistischen Rauchverbotsbefürworter jetzt auch schon Kneipen mit Kameras bespitzelten, um Verstöße beim Ordnungsamt zu melden. Methoden wie zu Stasi-Zeiten seien das. Mir fiel ein, dass mein neues Handy jetzt auch eine Kamera hat. JOHANNES GERNERT