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Archiv-Artikel

american pie Sympathiezuwachs für depressiven Footballprofi

Sauftour statt Super Bowl

Als der Basketballer Scottie Pippen mal ein wichtiges Playoff-Match seiner Chicago Bulls verpasste, weil er Migräne bekommen hatte, handelte er sich auf Jahre hinaus den Ruf eines Feiglings und Verlierers ein. Footballspieler gelten gemeinhin als noch gröbere Klötze und feste Bastionen eines gesteigerten Machismo. So ist es kein Wunder, dass Barret Robbins zunächst der Bannstrahl seiner Kollegen traf, als er ausgerechnet den Tag, der der größte seiner Karriere werden sollte, aufgrund persönlicher Probleme vermasselte.

Am Tag vor der Super Bowl gegen am 26. Januar in San Diego war der Center der Oakland Raiders plötzlich verschwunden – zu einer Sauftour in Tijuana, wie gemunkelt wurde. Er verpasste mehrere Meetings, als er abends wieder auftauchte, wirkte er nach Angaben von Coach Bill Callahan wirr und abwesend. Der Trainer strich Robbins aus dem Aufgebot, statt im Qualcomm-Stadium verbrachte der 300-Pfund-Koloss den Super-Bowl-Sunday in einer Klinik, wo er wegen Selbstmordgefahr unter Beobachtung stand. Lediglich in den Spielpausen flimmerten große Saison-Szenen des 29-Jährigen über die Videowand, im Match selber wurde besonders die Offensivreihe, welcher Robbins sonst Stabilität verlieh, von den Tampa Bay Buccaneers gnadenlos auseinander genommen. Die Raiders verloren mit 21:48.

Entsprechend harsch war die Reaktion der Teamkollegen. „Ich habe nicht mit ihm gesprochen und ich weiß nicht, ob ich noch einmal mit ihm sprechen werde“, sagte Guard Frank Middleton. „Auf welchem Felsen auch immer er sitzt, von mir aus kann er da bleiben“, schimpfte Guard Mo Collins. „Das ist die Super Bowl. Man kann kein Mitleid mit ihm haben“, erklärte Cornerback Charles Woodson.

Inzwischen hat sich die Tonart geändert. Aufgrund des Schicksals von Barret Robbins haben auch die rauen NFL-Gesellen jetzt gelernt, dass Depressionen nicht eine Marotte seltsamer Weicheier sind, sondern eine Krankheit. Robbins ist, wie sein Agent jetzt bestätigte, manisch depressiv, vor der Super Bowl habe er aus bislang unerklärlichen Gründen seine Medikamente abgesetzt, was ihn offenbar komplett aus der Bahn warf. Ein Trinkkumpan der Zechtour am Tag vor der Super Bowl berichtete, Robbins habe verzweifelt gewirkt und von Selbstmord gesprochen.

Im Namen des Spielers erklärte sein Agent Drew Pittman jetzt, dass Robbins bedaure, seiner Familie, den Teamkollegen, dem Klub, den Fans und dem Football insgesamt Schaden zugefügt zu haben. „Wenn er krank ist, ändert das einiges“, räumte Middleton nach der Pro Bowl der besten Football-Spieler auf Hawaii ein, in der auch Robbins als einer von fünf Raiders-Spielern hätte antreten sollen. Quarterback Rich Gannon meinte, er habe die Verdammung des Kollegen ohnehin nicht mitgetragen. „Wir haben nicht wegen ihm verloren. Wir haben nicht gut gespielt, ich habe nicht gut gespielt. Deshalb haben wir verloren.“ Wichtig sei jetzt nicht der Football-Spieler, sondern der Mensch Robbins.

War das Team zunächst recht übereinstimmend der Meinung gewesen, „B-Robb“ könne bleiben, wo der Pfeffer wächst, hat sich auch das geändert. „Ich hoffe, er kann alle seine Probleme lösen“, sagt Safety Roy Woodson, „Ich würde es lieben, wenn er zurückkehrt.“ Die Frage ist, ob sich das Management der Raiders genauso versöhnlich zeigt. So sehr man in den USA die sentimentale Seite des Sports schätzt, so wenig haben normalerweise die Businessmen in den Chefetagen der Profiklubs damit etwas am Hut. „Die Raiders haben noch keine Entscheidung bezüglich seiner Anstellung getroffen“, teilt Agent Pittman karg mit. „Wir beobachten die Sache“, ist alles, was Bruce Allen von der Raiders-Organisation zur Personalie Robbins zu bemerken hat. MATTI LIESKE