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Archiv-Artikel

american pie Heulende Wölfe am Yukon River

Das Iditarod-Race, härtestes Hundeschlittenrennen der Welt quer durch die unwirtlichen Weiten Alaskas, bietet Dramatik bis zum Schluss

Zunächst einmal war es genauso, wie man sich ein Hundeschlittenrennen in Alaska vorstellt. Mitten in der Spur auf dem Weg zum Yukon River lag ein toter Elch. Die meisten „Musher“ sahen ihn zu spät und rumpelten mit ihren Gespannen über den Kadaver hinweg, während das Wolfsrudel, das den Elch auf dem Gewissen hatte, in einiger Entfernung wartete und, empört über die unliebsame Störung, ausgiebig heulte. Das war auf der ersten Hälfte des 32. Iditarod-Rennens, das über 1.100 Meilen von Anchorage nach Nome führt. 87 Teilnehmer, darunter 17 Frauen, hatten diesmal die härteste Schlittenfahrt der Welt in Angriff genommen, die traditionell zur Erinnerung an eine Episode im Jahre 1925 veranstaltet wird, als Hundeschlitten Impfstoff zur Verhinderung einer Diphterie-Epidemie nach Nome brachten.

Bevor es gestern auf die letzten Etappen ging, hatten sieben Teilnehmer schon aufgegeben, darunter einer der großen Favoriten. Der viermalige Iditarod-Gewinner Doug Swingley zog sich Erfrierungen der Hornhaut zu, als er ohne Schneebrille durch eine Schlucht am Rainy Pass fuhr. Auf einem Auge ist Swingley derzeit blind, auf dem anderen stark sehbehindert.

Mehr Glück bei einem gefährlichen Missgeschick hatte Jeff King, ein dreimaliger Champion, der einen neuartigen Schlitten fährt, in dem der Musher sogar sitzen kann. „Es war so gemütlich, dass ich eingeschlafen und vom Schlitten gefallen bin“, erzählte er. Die Hunde rannten weiter, merkten aber nach einer Viertelmeile, dass etwas fehlte, und kehrten freundlicherweise um, anstatt ihren Chef in der eisigen Einöde sitzen zu lassen. King stieg wieder auf und erreichte als Erster den Yukon, wofür er im Städtchen Ruby 3.500 Dollar und ein Gourmet-Mahl erhielt.

King ist einer der verbliebenen Siegkandidaten im umkämpftesten Rennen seit vielen Jahren. Als Zweiter kam er nach Koyuk, von wo es noch 95 Meilen bis Nome sind. Dort gönnte er seinen Hunden eine längere Pause, weshalb er nicht nur hinter den bis dahin führenden Mitch Seavey, sondern auch hinter Lokalmatador Charlie Boulding und den Norweger Kjetil Backen zurückfiel.

Backen hatte das Rennen die meiste Zeit angeführt, doch dann traf sein Gespann am Rande der Beringsee ein harter Schicksalsschlag, als Leithund Takk plötzlich starb. „Er hat sich einfach hingesetzt“, sagte ein verzweifelter Backen, „es ist, als sei ein Familienmitglied gestorben.“ Die Autopsie ergab, dass Takk an einem Magengeschwür gestorben war. Backen, der seine Hunde vom norwegischen Vorjahressieger Robert Sorlie, diesmal nicht am Start, übernommen hatte, wollte zunächst aufgeben, ließ sich jedoch zum Weitermachen überreden. „Aber ich bin nicht mehr derselbe“, sagte Backen, was wohl auch für seine verbliebenen elf Hunde gilt, die zuvor schon die zweite Leithündin verloren hatten. Blue war wegen einer entzündeten Pfote in der Obhut von Freunden zurückgeblieben. „Ich glaube, sein Herz ist gebrochen“, meinte Jeff King über den Norweger, dem er keine Chancen mehr auf die Siegprämie einräumte, die aus 69.000 Dollar und einem 40.000-Dollar-Truck besteht.

Den Einheimischen ist ein Gewinner aus Alaska ohnehin lieber als ein Europäer. „Der holt sich das Geld ab, und wir sehen ihn nie wieder“, heißt es. Das ist bei Charlie Boulding anders. Der 64-jährige Trapper und Fischer lebt in der Nähe des Örtchens Kaltag in einer Hütte am Yukon. Mit seinem mächtigen Vollbart und seinen langen, grauen Haaren ist er das Urbild eines Mushers aus Alaska und der erklärte Favorit der Fans. Ebenso wie Seavey hat Boulding das Iditarod-Rennen noch nie gewonnen

Vor den letzten Etappen sprach jedoch alles für einen Zweikampf zwischen Mitch Seavey mit seinem bärenstarken Gespann und dem erfahrenen Jeff King, der hoffte, dass sich die vielen Ruhepausen, die er seinen Hunden auf dem langen Iditarod-Trail gegönnt hatte, auszahlen würden. „Er ist ziemlich beeindruckend“, räumte King allerdings bezüglich Seavey ein, „wenn so einer das Tempo und die Führung hat, ist er schwer zu schlagen.“ MATTI LIESKE