american pie : All-Star-Game im Baseball spiegelt kritische Situation
Es geht um die Wurst
Nicht mehr als eine Wurst war letzte Woche nötig, um die Spiele der Major League Baseball (MLB) komplett in den Schatten zu stellen. Randall Simon von den Pittsburgh Pirates, nach eigenem Bekunden ein ausgewiesener Scherzkeks, hatte seinen Schläger benutzt, um in das traditionelle Wurstrennen einzugreifen, das bei den Heimspielen der Milwaukee Brewers zwischen dem sechsten und siebten Inning stattfindet. Vier Frauen rennen dabei um die Wette, verkleidet als Hot Dog, italienische Wurst, Polnische und Bratwurst. Die Keule des Piraten traf Mandy Block, die italienische Wurst, die bei ihrem folgenden Sturz auch noch das Hot Dog umriss – eine Szene, die tagelang auf sämtlichen Fernsehprogrammen lief. Simon musste 432 Dollar Strafe zahlen und entschuldigte sich öffentlich, Mandy Block wollte allerdings lieber den Schläger, der sie gefällt hatte. Im Übrigen war ihr die öffentliche Aufmerksamkeit mit zahlreichen Fernsehinterviews eher peinlich: „Am liebsten möchte ich immer sagen, ‚Leute, ich bin doch bloß eine Wurst‘.“
Der Wirbel um das Sausage Race von Milwaukee drohte auch das All-Star-Game der MLB, das gestern Abend in Chicago stattfand, noch mehr an den Rand des Interesses zu drängen. Dabei hatte sich Commissioner Bud Selig etwas ganz Besonderes ausgedacht, um die seit 1933 ausgespielte Partie zwischen American und National League wieder interessanter zu machen: Die siegreiche Liga erhält den Heimvorteil in der World Series, der bisher dem Team vorbehalten war, das die bessere Saisonbilanz aufwies. „Diesmal zählt es!“ heißt denn auch der Slogan, mit dem der Sender Fox seine Übertragung des Spiels bewarb, dessen Einschaltquoten in den letzten Jahren beständig gesunken waren.
Die Kritik an der neuen Regelung ist harsch. „Man braucht keine zusätzliche Motivation“, sagt Baseman Scott Rolen von St. Louis, „das ist beleidigend.“ Nicht nur der umstrittene Commissioner hat jedoch ein Nachlassen der Anstrengungen und schwindendes Interesse der Fans beim All-Star-Game festgestellt. Hinzu kam die Farce vom letzten Jahr, als die Partie beim Stande von 7:7 im 11. Inning abgebrochen werden musste, weil keine Pitcher mehr übrig waren. Unstrittig ist, dass die Rivalität zwischen den beiden Ligen längst nicht mehr so groß ist wie früher, als die Teams von AL und NL, außer in der World Series, nie gegeneinander antraten und das All-Star-Match mit großer Verbissenheit geführt wurde.
Der Popularitätsschwund des Wettstreits der besten Cracks der MLB ist auch ein Symptom für die Probleme, die Amerikas liebster Sport insgesamt hat. Der letztes Jahr drohende Arbeitskampf, der die Major League nach allgemeiner Einschätzung an den Rand des Ruins getrieben hätte, konnte zwar vermieden werden, der Niedergang wurde jedoch nicht gestoppt. Nach einer Umfrage verfolgen 33 Prozent der Sportfans Baseball heute weniger als vor drei Jahren, 39 Prozent sehen den Sport in einer Krise. Die Zuschauerzahlen sanken seit 2001 um 8 Prozent.
„Das ist absolut alarmierend“, sagt Mets-Pitcher Tom Glavine. Riesige Spielergehälter, die große Kluft zwischen armen und reichen Klubs, hohe Eintrittspreise, weit reichender Anabolikamissbrauch, rotzige Superstars und Skandale um populäre Spieler wie Sammy Sosa, der mit einem manipulierten Schläger erwischt wurde, beeinträchtigen das Image.
Viel Arbeit wartet noch auf Bud Selig. Allein mit Wurstrennen, wie bei seinem Stammclub in Milwaukee, wird er den Aufschwung kaum bewerkstelligen können. Mögen sie auch noch so putzig ausfallen. MATTI LIESKE