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Archiv-Artikel

american pie Hang zur Korpulenz

Der erneute Tod eines Football-Profis ist kein Zufall. Vor allem die Defensivspieler muten ihrem Körper zu viel zu

Thomas Herrion war ein Niemand. Ein Football-Spieler mit Perspektive, mit einer eher mauen Perspektive. Einer von denen, die die aufgeblähten Trainingslager-Kader der NFL-Teams auffüllen, Sparringspartner für die etablierten Kollegen. Einer von denen, die in den Vorbereitungsspielen zum Einsatz kommen, wenn die Stars zur Halbzeit ihr Tagwerk vollbracht haben. Einer von denen, die den letzten Cut mit ziemlicher Sicherheit nicht überstehen werden. Einer von denen, die trotzdem und gerade deshalb alles geben.

Seit dem vergangenen Samstagabend ist Thomas Herrion kein Niemand mehr. Seit dem vergangenen Samstag kennt Amerika den Namen Thomas Herrion. Seit Samstag ist Thomas Herrion tot. Der 23-Jährige starb nur Augenblicke nach einem Vorbereitungsspiel der San Francisco 49ers, die ihn von den Denver Broncos verpflichtet hatten. Nach dem Abpfiff war Herrion offensichtlich außer Atem, aber guter Dinge, plauderte auf dem Weg vom Feld mit Teamkollegen und Gegnern. Kurz darauf brach er in der Umkleidekabine zusammen. Mediziner waren sofort zur Stelle, aber Wiederbelebungsversuche blieben erfolglos.

Die Todesursache ist vorerst ungeklärt, auch eine erste Autopsie brachte keine Klärung. Momentan werden weitere Tests durchgeführt, darunter auch Drogen-Screenings. Bis dahin bleibt ein Rätsel, wie ein durchtrainierter Spitzensportler nach der Ausübung seines Berufes einfach tot umfallen kann. Ähnliches geschah vor genau vier Jahren. Im Trainingslager der Minnesota Vikings erlitt Korey Stringer einen Kollaps und starb noch auf dem Trainingsplatz. Auch Stringer war jung, 27 Jahre alt, aber im Gegensatz zu Herrion war Stringer ein Star. In der Saison zuvor war er erstmals als einer der besten seines Fachs von seinen Kollegen in die Pro Bowl gewählt worden. Es war sehr heiß gewesen an jenem Augusttag in Minnesota, mehr als 45 Grad, und sehr feucht und die Vikings trainierten in der Mittagshitze. Stringer erlitt einen Hitzschlag. Eine Diagnose, die bei Herrion ausfällt.

Beide, Herrion und Stringer, waren Offensive Linemen. Ihre Aufgabe war es, den Quarterback vor den Angriffen der gegnerischen Verteidigung zu schützen, ihm genug Zeit zu geben, den Ball zu werfen. Beide waren groß, ungefähr 1,90 Meter, und beide waren schwer, fast 150 Kilogramm.

In den letzten Jahrzehnten wurden Footballspieler immer mächtiger. Eine Entwicklung, die Mediziner mit Sorge beobachten. Das durchschnittliche Gewicht eines Offensive Linemen in der NFL beträgt mittlerweile 136 Kilo, ungefähr 25 mehr als vor 30 Jahren. Die Spieler aber sind schneller und athletischer als ihre Vorgänger und größeren Belastungen ausgesetzt. Knochen und Sehnen, Herz und Lunge aber sind entworfen für 40 Kilo leichtere Körper.

Es gilt als gesichert, dass Anabolika die Entwicklung dieser Muskelberge zumindest begünstigt hat, obwohl die NFL seit den 80er-Jahren die strengsten Dopingtests der amerikanischen Profiligen durchführt. Ein Tod wie der von Herrion aber kann offensichtlich jeden Football-Profi jederzeit treffen. Das war seinen Kollegen bewusst, als sie sich am Montag erstmals wieder zum Training trafen. „Die Lebenserwartung für Offensive Linemen ist nicht hoch“, sagte Jeremy Newberry, als Center selbst einer der schweren Jungs, „aber das ist Teil der Arbeitsbeschreibung. Man versucht nicht jeden Tag darüber nachzudenken“. Nach Stringers Tod verschärfte die NFL nur die Vorschriften für Training in großer Hitze. Kaum zu erwarten, dass nach dem Tod eines Niemands das Problem nun grundsätzlich angegangen wird.

THOMAS WINKLER