piwik no script img

american pieDer stille Alleskönner

Der Versuch des japanischen Baseballprofis Shohei Ohtani, sich in Los Angeles als Werfer und Schlagmann durchzusetzen, ist revolutionär

Die Presse nennt ihn „Wunderkind aus Japan“, ein Mitspieler ein „seltenes Talent“ und Sports Illustrated fragt in einer großen Geschichte: „Wird der japanische Babe Ruth Baseball revolutionieren?“ Die neue Baseball-Saison ist noch keine zwei Wochen alt, aber eins ist schon mal sicher: Die große Sensation heißt Shohei Ohtani von den Los Angeles Angels.

Überall dorthin, wo die Angels spielen, folgt dem 23-Jährigen ein Reportertross durchs Land. Jedes, aber wirklich jedes Sportmagazin hatte ihn auf der Titelseite – und auch ein paar, für die Sport nur Nebensache ist. Ohtani wird bestaunt wie ein Wundertier. Tatsächlich ist er ein Exot – aber nicht deshalb, weil er aus Japan kommt. Sondern weil er etwas versucht, was niemanden gelungen ist seit beinahe 100 Jahren: Ohtani will es nicht nur als Pitcher schaffen, der alle fünf oder sechs Tage die gegnerische Offensive in Schach halten soll. Er will außerdem in den Tagen dazwischen als Hitter gegen die gegnerischen Pitcher reüssieren.

Und er macht das ziemlich gut. Am Sonntag konnte ihn das Heimpublikum in Los Angeles beim 6:1-Erfolg gegen die Oakland A’s erstmals als Pitcher bewundern. In einer herrlich flüssigen, scheinbar mühelos Bewegung pfefferte er den Ball mit bis zu 160 Stundenkilometern in den Handschuh des Catchers. Noch wichtiger: Seine langsameren Würfe foppten die Hitter mit trickreifen Effets. Auch in der Offensive läuft es prima: Zuvor hatte Ohtani in drei Heimspielen hintereinander jeweils einen Homerun geschlagen. Der dritte landete im Wasserfall, der als besonderer Gimmick im Stadion der Angels in Anaheim hinter der Wand, die das Außenfeld begrenzt, plätschert und nach jedem Homerun kreischend bunt angestrahlt wird.

Noch außergewöhnlicher als der Wasserfall mitten in der Tribüne ist allerdings Ohtanis Vorhaben, sich als Two-Way-Player in den Majors Leagues durchzusetzen. Denn es gibt Pitcher, die an den Tagen, an denen sie auf dem Mound stehen, sich auch als Hitter gut schlagen. Es gibt auch Hitter, deren Arm so gut ist, dass sie, wenn Not am Mann ist, auch mal ein paar Würfe als Aushilfs-Pitcher hinkriegen, ohne sich zu blamieren. Es gibt sogar Spieler, die als Hitter zurück in die Major Leagues kamen, wenn sie als Pitcher zu schlecht geworden waren. Aber Pitcher und Hitter über eine ganze lange Saison auf hohem Niveau? Das galt aufgrund der nahezu täglichen Spiele und der großen Spezialisierung im Spitzenbaseball als unmöglich.

Der letzte, der das geschafft hat, war kein Geringerer als Babe Ruth. Der drosch in seiner Zeit bei den Boston Red Sox mit seinem Schläger nicht nur die Bälle aus dem Stadion, wie man es vorher noch nie gesehen hatte, sondern war auch noch der beste Pitcher seiner Zeit. Doch selbst der legendäre „Bambino“ verzichtete nach seinem Wechsel zu den New York Yankees auf die Doppelbelastung und konzentrierte sich ab 1920 nur noch darauf, jeden verfügbaren Rekord als Hitter aufzustellen.

In seiner Heimat wurde Ohtani bereits als „japanischer Babe Ruth“ bezeichnet. Nun will er der Ikone in dessen Heimat, dem Mutterland des Baseballs, nacheifern. Deshalb hat er bei den Angels unterschrieben. Zwar hätte die ganze Liga den außergewöhnlich talentierten Japaner gerne verpflichtet, aber der Klub aus Kalifornien war bereit, Ohtani seinen Wunsch zu erfüllen. Ein Wunsch, der Risiken birgt, denn mit der Doppelbelastung steigt die Verletzungsgefahr. Vor allem gute Pitcher sind Mangelware und ein herausragender Wurfarm wie der von Ohtani fragiles Gut: Ein Werfer, der den Ball über die Schallmauer von 100 Meilen pro Stunde beschleunigen kann, ist oft nur einen Sehnenriss oder Knorpelschaden vom Karriereaus entfernt.

Ohtani hat zwar in Japan bewiesen, dass er der Doppelbelastung gewachsen ist. Auch dort wollte ihn niemand beides machen lassen. In den vergangenen fünf Jahren war er aber nicht nur der beste Pitcher der Pacific League, warf mit 165 Stundenkilometern nicht nur den härtesten je gemessenen Wurf in der Geschichte des japanischen Baseballs, sondern schlug auch noch so viele Homeruns wie kaum ein anderer. Die japanische Liga dürfte zwar die zweitbeste der Welt sein, aber das Niveau ist eben lange nicht so gut wie in der MLB – und vor allem ist die Saison in Japan kürzer, die Belastung nicht so hoch.

Die Experten sind deshalb immer noch skeptisch. Sie glauben, dass sich Ohtani auf lange Sicht auf das Pitching konzentrieren wird, wenn er und die Angels merken, dass das regelmäßige Hitting seine Leistungen beeinträchtigt. Was Ohtani selbst dazu sagt? Nicht viel. Er sagt eh nicht viel – und was genau, das weiß nur sein Übersetzer, der die höflichen Nichtigkeiten für die Öffentlichkeit ins Englische überträgt. Schon in Japan hielt Ohtani, obwohl größter Sportstar des Landes, seine Emotionen ebenso gut unter Verschluss wie sein Privatleben. Aber mit Sprüchen muss Ohtani nicht glänzen, solange er sich anschickt, Geschichte zu schreiben. Thomas Winkler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen