american pie : Siege für die Serie
Die Profis der Indianapolis Colts sind noch ungeschlagen in der Football-Liga NFL, sie wollen es bis zum Super Bowl bleiben
Einmal im Jahr treffen sich gut drei Dutzend ältere Herren in Miami und stoßen an mit einem Gläschen Sekt. Der Termin wechselt, der Anlass aber ist immer derselbe: die erste Niederlage des letzten ungeschlagenen Teams der National Football League (NFL). 1972 brachten die Miami Dolphins das Kunststück fertig, eine gesamte Spielzeit ohne Niederlage zu überstehen. Der Super-Bowl-Erfolg gegen die Washington Redskins vervollständigte die einzige perfekte Saison in der NFL-Geschichte: 17 Spiele, 17 Siege. Alljährlich wird die einmalige Leistung gefeiert.
Dieser Tage allerdings haben die ehemaligen Dolphins Grund, nervös zu werden. Der Umtrunk mit dem Sekt könnte nicht klappen. Mit einem 45:37 bei den Cincinnati Bengals fuhren die Indianapolis Colts am Sonntag ihren zehnten Erfolg im zehnten Spiel ein, und selbst die Gegner waren begeistert: „Die sind unglaublich“, staunte Bengals-Quarterback Carson Palmer.
Sein Gegenüber heißt Peyton Manning, ist der Star der Colts und gilt als momentan Bester seines Fachs, auch weil er sich so gewissenhaft wie niemand sonst mit stundenlangem Video-Studium vorbereitet. In der letzten Saison warf der 29-jährige Musterprofi, dessen Vater Archie bereits ein erfolgreicher NFL-Quarterback war, 49 Touchdown-Pässe, verbesserte einige andere Uraltrekorde und wurde zum MVP, zum wertvollsten Spieler der Liga, gewählt. Die sensationellen Offensivleistungen machte in den vergangenen Jahren allerdings stets im entscheidenden Moment eine erbärmlich schlechte Verteidigung zunichte. Manning drohte zu einem zweiten Dan Marino zu werden: Der legendäre Quarterback hält seit den Neunzigerjahren zwar nahezu alle wichtigen Rekorde, hat aber niemals eine Super Bowl gewonnen.
In diesem Jahr aber ist alles anders: Indianapolis besitzt erstmals seit Jahren nicht nur den explosivsten Angriff der Liga, sondern auch noch eine gute Verteidigung. Bislang haben nur die Defensivspezialisten der Chicago Bears noch weniger Punkte zugelassen als die Colts. Gegen die Bengals war der Angriff um Manning erstmals richtig gefordert, weil die Verteidigung einen schlechten Tag erwischt hatte. „Heute war Peyton heiß“, registrierte ein zufriedener Cheftrainer Tony Dungy, „Anfang des Jahres haben wir noch 10:3 oder 13:6 gewonnen. Ich denke, das macht ein gutes Team aus: dass man auf jeden Gegner die passende Antwort hat.“ Schlechte Aussichten für die Konkurrenz: Dass die Colts am 5. Februar das Ford Field in Detroit als Super-Bowl-Champions verlassen werden, dagegen möchte momentan niemand wetten. Selbst gegen seinen Angstgegner, den amtierenden Meister New England Patriots, konnte Manning in der vergangenen Woche den ersten Erfolg seit Jahren einfahren.
Ob allerdings das Kunststück von 1972 zu wiederholen ist, wird allgemein bezweifelt. Damals war die reguläre Saison zwei Spiele kürzer und vor allem die Aufmerksamkeit der Medien nicht vergleichbar mit heute, der öffentliche Druck ungleich geringer. In den letzten Wochen vergeht kein Tag, an dem nicht ehemalige Profis genötigt werden, ihre Erfahrungen in einer ähnlichen Situation zu schildern. „Die Sache wird mit jedem Spiel größer und größer“, musste Manning bereits feststellen. Der größte Stolperstein auf dem Weg zu einer perfekten Saison aber könnte absurderweise ausgerechnet die Überlegenheit der Colts sein: Es ist durchaus möglich, dass sich Indianapolis bereits in zwei oder drei Wochen das Heimrecht für alle möglichen Play-off-Spiele gesichert hat. Dann dürfte Coach Tony Dungy mit ziemlicher Sicherheit seine besten Spieler schonen, um keine Verletzungen zu riskieren.
Das Ziel bleibt schließlich zuvorderst die Super Bowl. Dort könnte es dann unter Umständen zu einer Konstellation kommen, von der die Verantwortlichen bei der NFL und den übertragenden Fernsehsendern bereits ganz offen träumen. Dann nämlich, wenn die New York Giants weiter so erfolgreich spielen sollten wie bisher: Denn der Quarterback des Überraschungsteams heißt ebenfalls Manning. Eli ist der kleine Bruder von Peyton, gilt als ebensolches Talent, wenn auch als lange nicht so gewissenhaft.
Sollte die Super Bowl zum „Brothers Bowl“ werden, dann dürfte die aktuelle mediale Aufmerksamkeit um die Indianapolis Colts und ihre womöglich perfekte Saison nur ein fader Vorgeschmack sein auf den drohenden Medien-Hype. Bis es aber so weit ist, dürfte mit großer Wahrscheinlichkeit bereits das eine oder andere Gläschen Sekt geleert sein. THOMAS WINKLER