american pie : Tour des guten Willens
Ron Artest, Flügelspieler der Indiana Pacers, hat in dieser NBA-Saison einiges gutzumachen
Ein Spiel der nordamerikanischen Basketball-Liga NBA wirkt aus der Nähe betrachtet, beispielsweise vom Oberrang der Key Arena in Seattle aus, seltsamerweise gar nicht mehr wie ein Sportereignis. Die Spieler, in diesem Fall die einheimischen Supersonics und die Indiana Pacers, wirken eher lustlos, die Aktionen wenig engagiert und eine aggressive Verteidigung scheint bis kurz vor Schluss kaum vorgesehen: Das ist kein Wunder bei einer 82 Spiele währenden Saison, die schlussendlich nur dazu dient, mehr als die Hälfte aller Mannschaften in die Play-offs zu befördern, wo es dann endlich ernst wird.
Man kann sich stattdessen nicht des Eindrucks erwehren, dem dreistündigen Versuch eines Unterhaltungsunternehmens beizuwohnen, ein weitgehend gelangweiltes Publikum zu ein paar Reaktionen zu animieren. Dazu werden Filme auf der riesigen digitalen Anzeigentafel gezeigt: Die einheimischen Helden wie Ray Allen, Danny Fortson und Luke „Luuuuuke“ Ridnour fordern dazu auf, im Rhythmus mitzuklatschen, im Chor „De-fense“ zu skandieren und überhaupt ständig „Noise“ zu produzieren.
Doch die Zuschauer zeigen sich dazu nur in Ausnahmefällen bereit. Originäre Emotionen kommen an diesem Sonntagabend nur auf, wenn Ron Artest das Feld betritt. Berührt er den Ball, zieht ein lustvolles Missfallensstöhnen durchs weite Rund. Wagt Artest gar, den Ball auf den Korb zu werfen, setzt ein freudig erregtes Buhen ein. Es ist offensichtlich: Ron Artest wird nach Herzenslust von den Fans gehasst. Und das in jeder NBA-Arena außerhalb von Indianapolis.
Der Grund dafür liegt nun fast genau ein Jahr zurück: Am 19. November 2004 wurde Ron Artest beim Auswärtsspiel bei den Detroit Pistons von einem Fan mit einem Bierbecher beworfen, stürzte daraufhin in die Ränge, versuchte dort den vermeintlichen Übeltäter auszumachen und zu vermöbeln – und löste damit eine Massenkeilerei zwischen Pacers, Pistons und Publikum aus. Fortan diskutierte die Nation aufgeregt die nötigen Konsequenzen: Kommentatoren forderten eine lebenslängliche Sperre für den 26 Jahre alten Profi. Schlussendlich sprach die NBA verschieden lange Sperren für die beteiligten Spieler aus und die Pacers durften ihre bis dahin durchaus berechtigten Meisterschaftshoffnungen begraben, mussten sie doch die gesamte restliche Saison auf ihren Allstar verzichten. Wie um seine Kritiker zu bestätigen, ließ der prompt wissen, so ungelegen komme ihm die Auszeit gar nicht, hatte er sich doch eh um seine eben gegründete Plattenfirma kümmern wollen.
Seit dem Beginn dieser Spielzeit befindet sich Artest nun quasi auf einer von der NBA organisierten Goodwill-Tournee durch die Vereinigten Staaten und zeigt sich von seiner besten Seite. Selbst die konkurrierenden Profis sind voll des Lobes: Sein Gegenspieler von den Sonics, Reggie Evans, selbst als einer der eher rüderen Gesellen verschrien, lobte ihn als „speziellen Spieler, der in Angriff und Verteidigung alles kann“. Schon zum Start der Saison hievte Sports Illustrated Artest aufs Titelbild – zusammen mit Pacers-Präsident Larry Bird. Der, bisweilen „Larry Legend“ genannt, gilt als Inbegriff von Fairness und professioneller Einstellung und stellte im zugehörigen Artikel die Gemeinsamkeiten zwischen sich und seinem Angestellten Artest heraus. Vor allem der Ehrgeiz verbinde die beiden, der bedingungslose Einsatz. Eigentlich, das die Botschaft, seien das weiße Landei und das schwarze Ghettokind aus ein und demselben Holz geschnitzt.
Tatsächlich ist Artest mitunter durchaus in der Lage, ein Spiel zu dominieren wie Bird es zu seinen Glanzzeiten mit den Boston Celtics in den Achtzigerjahren ständig gelang. Der Flügelspieler gilt als momentan bester Defensivspieler der Liga und kann gegen flinke Aufbauspieler ebenso verteidigen wie gegen kräftigere Flügelspieler. Er ist ein guter Rebounder auf seiner Position und wird immer gefährlicher in der Offensive: In Seattle erzielte er 30 Punkte und war damit bester Schütze. Den Pacers nutzte es nichts: Sie verloren trotzdem 102:107.
Nach dem Spiel, in der Umkleidekabine der Pacers, als die aufdringlichsten Kamerateams verschwunden waren, bescheinigte Pacers-Coach Rick Carlisle seinem besten Mann, „ein sehr gutes Spiel“ gespielt zu haben. Ob ihn denn der Empfang in fremden Hallen belaste, die Buhrufe etwa, wurde der Trainer gefragt. „Ich habe keine Buhrufe gehört“, antwortete Carlisle und versuchte dabei möglichst ernsthaft zu gucken. Aus der Nähe betrachtet wirkt so ein NBA-Spiel eben plötzlich vollkommen anders. Und direkt an der Seitenlinie scheint sich auch noch die akustische Wahrnehmung zu wandeln. THOMAS WINKLER