american pie: Ryan Leaf, der böse Bube der NFL, ist arbeitslos
Blödmann mit goldenem Arm
Es war einmal. Drei Jahre nur ist es her. Da war Ryan Leaf eines der größten Talente aller Zeiten auf der wichtigsten Position in der erfolgreichsten Profiliga der Welt. Ryan Leaf war Quarterback, im Draft als zweiter Spieler von den San Diego Chargers erwählt, mit den allerbesten Aussichten auf eine lange, glorreiche und mit Dollarmillionen gepflasterte Karriere.
Das war einmal. Drei Jahre später ist Ryan Leaf arbeitslos. Im März feuerten ihn die San Diego Chargers und vor zwei Tagen schmissen ihn auch die Tampa Bay Buccaneers, bei denen er untergekommen war, aus dem Trainingscamp. Er hatte es in der Vorbereitung nicht geschafft, wenigstens einen der anderen drei Quarterbacks der Bucs auszustechen und sich einen Platz für die am kommenden Sonntag beginnende NFL-Saison zu sichern.
Immerhin benahm sich Leaf in seinen wenigen Monaten in Tampa nicht daneben. Denn der 25-Jährige wurde in seinen drei Jahren in San Diego zum Posterboy für die Kritiker der NFL. Die Chargers hatten ihre besten Draftpicks der Zukunft und einige gute Spieler abgegeben, um Leaf zu bekommen, aber anstatt den Klub in eine bessere Zukunft zu führen, glänzte das Wunderkind mit Arroganz, legte sich mit Fans und Reportern an, kämpfte des öfteren mit Übergewicht, zog mit ehemaligen Kommilitonen durch die Kneipen, schlief dafür aber während Team-Besprechungen ein, belegte Manager und Trainer mit obszönen Beschimpfungen und suchte die Schuld für seine Fehler stets bei allen anderen. Schließlich wurde er beim Golfspielen erwischt, während er sich wegen eines angeblich verletzten Handgelenks vorm Training drückte. Zu diesem Zeitpunkt hatten seine Mitspieler längst schon die Nase voll von dem arroganten Jungspund mit dem goldenen Arm und der großen Klappe. „Die NFL ist kein Ort für Kids mit zu viel Geld zum Rumblödeln“, wurde ein Kollege anonym zitiert.
Diese unprofessionelle Einstellung wäre wohl kein Problem gewesen, wenn Leaf wenigstens auf dem Spielfeld die Erwartungen erfüllt hätte. Aber während Peyton Manning, der vor drei Jahren als Nummer eins vor Leaf gedraftet worden war, bei den Indianapolis Colts mittlerweile zu einem der besten Quarterbacks gereift ist, landete Leaf in der Mitte seiner ersten Saison bei den Chargers nach katastrophalen Leistungen auf der Ersatzbank. Sein zweites Jahr verpasste er wegen einer Schulterverletzung komplett und auch im dritten verlor er wieder seinen Job als erster Quarterback und fand sich nach nur zwei Spielen auf der Bank wieder. „Ich bin am besten, wenn ich mit dem Rücken zur Wand stehe“, tönte er, aber am Ende seiner drei Jahre bei den Chargers standen desaströse Statistiken: 33 Pässen, die in den Händen des Gegners landeten, standen gerade mal 13 Würfe entgegen, die zu Touchdowns führten. Bei den Topleuten des Gewerbes ist das Verhältnis eher umgekehrt. Nie hatte Leaf den Wechsel vom College zu den Profis verkraftet, wo es einen Tick rasanter zugeht. Trotzdem weigerte er sich, eine Saison in der NFL Europe zu spielen, um Erfahrung zu sammeln.
Inzwischen ist Leafs Ruf vollkommen ruiniert. Sein Agent Leigh Steinberg, bemüht die Zukunft seines Klienten nicht völlig zu verbauen, nannte Leafs unprofessionelles Verhalten „Anpassungsschwierigkeiten“ und prophezeit ihm weiter tapfer „eine großartige Karriere“. Mit dieser Meinung steht er ziemlich allein. „Er hat gottgegebene Instinkte, einen Football zu werfen“, sagt ein NFL-Funktionär, der anonym bleiben will, „das große Problem aber ist, Leaf ist ein Blödmann. Er war schon in der High School ein Blödmann.“
Als San Diego ihn feuerte, war Leaf gerade in den Flitterwochen auf Hawaii. „Wir alle kennen sein Potenzial“, sagt der neue Chargers-Chefcoach Mike Riley, „aber man muss nun mal in erster Linie an das Team denken.“ Frisch angekommen in Tampa Bay demonstrierte Leaf prompt sein ungebrochenes Selbstbewusstsein: „Ich habe in San Diego viele Fehler gemacht“, ließ er verlauten, „aber Spieler und Management dort haben auch eine Menge Fehler gemacht.“
In San Diego dagegen ist man froh, den so selbstkritischen Leaf endlich los zu sein. Stattdessen hat man den mittlerweile 38-jährigen Doug Flutie verpflichtet. Mit dieser geballten Erfahrung an den Schalthebeln des Angriffs traut mancher Experte den Chargers gar eine Überraschung zu. Auch ein Blick zurück sorgt für Hoffnung in Südkalifornien: Schließlich erreichten im letzten Jahr die Baltimore Ravens und New York Giants den Super Bowl. Zwei Teams, mit denen auch niemand ernsthaft gerechnet hatte. Beide hatten allerdings mit Trent Dilfer und Kerry Collins Quarterbacks, die zuvor ähnlich turbulente Karrieren durchlaufen hatten wie Ryan Leaf.
THOMAS WINKLER
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