agenda 2010 : Zäune nur für Nutzvieh
PETER ORTMANN ist Kulturchef der taz nrw. Er mag Zäune nur für Viecher und schon gar keine Wasserwerfer.
Generals gathered in the masses,
just like witches at black masses.
Evil minds that plot destruction, sorcerers of death‘s construction.
Irgendwann vor Jahren ist mein alter Jugend-Bundeswehrparka abhanden gekommen. Natürlich hatte ich kein grünes Standard-Inlett wie alle anderen, meins war anfangs hellbeige und flauschig. Und weil das etwas teurer war, musste ich meiner Mutter erst klarmachen, warum ich das brauchte. Non-Konformismus war damals mein schlagendes Argument. Sie überzeugte das nicht. Außerdem sieht es viel besser aus. Das sah sie dann ein. Dummerweise blieb die Schönheit nach mehrfachem Wasserwerfereinsatz der Staatsmacht nicht erhalten. Und so sah ich bald eher wie ein Degenhardtsches Schmuddelkind aus. Hellbeige ist für den Straßenkampf denkbar ungeeignet – darum trägt man heute schwarz.
Doch halt. Eigentlich sollte es hier um Kultur gehen. Doch niemand entkommt in diesen Tagen dem G8-Gipfel in Rostock. Dort treffen sich die Mächtigen der Welt, die sich diese Position mit Flammenschwert und Knechtschaft des Volkes erhalten – und darauf auch noch stolz sind. Einen Zaun haben sie gebaut, blasen Hunderte von Millionen Euro für ihre eigene Sicherheit in die Luft. Wir leben in einem Feudalsystem, in dem korrupte Herrscher alten Stils über Tod und Leben, über Existenz oder Dahinvegetieren entscheiden. Hat das vielleicht noch etwas mit Kultur zu tun? Nein. Hat das etwas mit der Kulturhauptstadt 2010 im Ruhrgebiet zu tun? Auch nein.
Oder? Ein Zaun dient der Kenntlichmachung von Besitzverhältnissen an Grund und Boden im öffentlichen Raum. Im Revier soll bald die „Stadt der Möglichkeiten“ stattfinden. Aber welche Eventualitäten wird es für die Kulturschaffenden geben? Könnte es also sein, dass die Macher der Kulturhauptstadt bereits einen imaginären Zaun um sich gezogen haben? Zum einen, um sich vor den unerwünschten Künstlern zu schützen, zum anderen, um sich in Ruhe und hinter den Kulissen gegenseitig die Projekte zuzuschieben? Das wäre ein Politikum, dass natürlich erst nach der Programmvorstellung hinterm Zaun sichtbar würde. „Zurzeit werden zehn Projekte, die bereits als Leitprojekte während der Bewerbungsphase eine Rolle spielten, vorrangig auf ihre Machbarkeit hin überprüft“, sagen die Macher. Dazu weiß man von anderen, die bereits gesetzt sind. Sind das Zäune oder nicht?
Denk ich an Heiligendamm, denk ich an meinen schmuddeligen Parka. Denk ich an 2010, dann fallen mir zusätzlich viele böse Dinge ein, mit denen man nicht nur Zäune einreißen kann. Die sind nämlich nur dann notwendig, wenn man Nutzvieh auf der Weide halten will. Und die Viecher sind immer innerhalb des stacheligen Pferchs.
PETER ORTMANN