agenda 2010 : Von der Dekadenz
PETER ORTMANN ist noch kurz Kulturchef der taz nrw. Er glaubt nicht an Wunder, aber an nackte Zahlen.
And now, the end is near,
and so I face, the final curtain.
My friend, I‘ll say it clear,
I‘ll state my case,
of which I‘m certain.
I‘ve lived, a life that‘s full,
I‘ve traveled each
and every highway.
And more, much more than this,
I did it my way. (Frank Sinatra)
Nun ist es also so weit, dies könnte die letzte Kolumne in der taz-nrw sein. Dekadente Strukturen ziehen langsam die Schlinge zu. Die Luft wird immer dünner. Unsere Verankerung in die Region ist zwar stark, aber der rettende Sauerstoff immer noch flüssig. Dennoch rinnt er stetig und willig in die Richtung unserer Atemorgane. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Ein schwachsinniger Spruch. Viel besser passt ein buddhistischer Satz: Die Zeit wartet auf niemanden. Nicht auf uns und nicht auf die Europäische Kulturhauptstadt 2010 im Ruhrgebiet. Auch hier verhindern dekadente Strukturen ein tiefes Durchatmen. Noch immer wütet das kulturelle Tief über unserer Region, stürzte der Gewinn in Brüssel die Kulturschaffenden in eine tiefe Krise. Die Wiedergeburt lässt auf sich warten. Noch.
Unsere Renaissance lässt auch auf sich warten. Jetzt wird zusätzlich das „Wunder von Düsseldorf“ anvisiert. Doch die subtile Hoffnung auf überirdische Mächte ist auch dekadent. Weder das „Wunder von Bern“ (1954), noch das „Wunder von Lengede“ (1963) waren das Ergebnis von mystischen Himmelslenkern, sondern von harter Arbeit. Auch das beziehe ich gern und ohne Häme auf die Kulturhauptstadtbewerbung des Ruhrgebiets im vergangenen Jahr. Aber in erster Linie erst einmal auf uns selbst. Wenn es tatsächlich gelingt, dem Dürrenmattschen Regionalexpress in den Todestunnel zu entkommen, dann ist auch das ein Ergebnis endloser Arbeit. Und selbstverständlich, das darf nie vergessen werden, das Resultat der Wertschätzung einer Region für ein Print-Produkt, das ihr Lebensumfeld seit zehn Jahren politisch und kulturell kritisch abbildet. Und so stelle ich hier die ultimativen letzten Fragen: Seid ihr Leser in Nordrhein-Westfalen alle sicher, genug getan zu haben, um diesen unwiderbringlichen Verlust aufzuhalten? Da geht es auch um 15 Kreativwirtschafts-Arbeitsplätze, die in der Region auf dem Spiel stehen.
Wie ernst ist es dem Team der ruhr.2010 GmbH denn damit? Was wäre das für ein schöner Einstieg, wenn Professor Dieter Gorny, Direktor für das Themenfeld „Kreativwirtschaft“ bei der Europäischen Kulturhauptstadt, stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes Bundesverband der phonographischen Wirtschaft und einst Rockbüro-Chef der Stadt Essen, den Erhalt dieser Arbeitsplätze verkünden könnte. Oder ist das zu wenig angesichts des dekadenten Loveparade-Coups fürs Ruhrgebiet?
PETER ORTMANN